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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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betrachtete gedankenverloren ein Segelboot, das in einigem Abstand vorbeizog. »Ich verstehe nicht, was so geheim gewesen sein kann«, sagte er schließlich. »Vor wessen Augen hätte es verborgen werden sollen?«
    Wallander hörte mit geschärfter Aufmerksamkeit zu. Etwas, was der Mann im Steuerstand neben ihm gerade gesagt hatte, war wichtig. Aber er konnte den Gedanken nicht festhalten, bevor er sich verflüchtigte. Er merkte sich die Wörter.
    Sten Nordlander ließ das Boot wieder Fahrt aufnehmen, zehn Knoten, und hielt Kurs auf Mysingen und Hårsfjärden. Wallander stellte sich neben ihn. In den folgenden Stunden agierte Nordlander als Fremdenführer, der ihm Muskö und Hårsfjärden zeigte. Er erklärte, wo Wasserbomben abgeworfen wurden und wo die U-Boote durch nicht aktivierte Minensperren entkommen sein konnten. Auf einer Seekarte konnte Wallander die Wassertiefe und gekennzeichnete Untiefen ablesen. Er sagte sich, dass nur eine sehr gut ausgebildete Besatzung in dem Wasser unter Hårsfjärden navigieren könnte.
    Als Nordlander fand, dass sie genug gesehen hatten, änderte er den Kurs und hielt auf einige kleine Inseln und Schären im Gatt zwischen Ornö und Utö zu. Dahinter lag das offene Meer. Mit sicherer Hand navigierte er in eine kleine Bucht an einer der Schären. Sanft glitt das Boot an die Felskante. »Diese Bucht kennen nicht viele«, sagte er, als er den Motor abgestellt hatte. »Hier habe ich meine Ruhe. Nimm mal!«
    Wallander war mit einer Leine in der Hand an Land gesprungen, nahm den Korb entgegen und stellte ihn auf den Felsen. Es roch nach Meer und Pflanzen, die in den Felsspalten wucherten. Er fühlte sich plötzlich wie ein Kind auf Entdeckungsfahrt auf einer unbekannten Insel.
    »Wie heißt die Insel?«, fragte er.
    »Es ist nur eine Klippe. Sie hat keinen Namen.«
    Ohne ein Wort zog Nordlander sich aus und sprang nackt ins Wasser. Wallander sah seinen Kopf auftauchen und sogleich wieder verschwinden. Er ist wie ein U-Boot, das Abtauchen und Aufsteigen übt, dachte er. Das kalte Wasser kümmert ihn nicht.
    Nordlander kletterte wieder auf die Klippe und zog ein großes rotes Handtuch aus dem Korb. »Du solltest es versuchen«, sagte er. »Es ist kalt, aber es tut gut.«
    »Ein andermal. Wie viel Grad mag es haben?«
    »Es liegt ein Thermometer hinter dem Kompass. Während ich mich abtrockne und hier aufdecke, kannst du messen.«
    Wallander fand das Thermometer, das einen kleinen Schwimmer aus Gummi hatte. Er ließ es an der Felskante entlanggleiten und las dann das Ergebnis ab. »Elf Grad«, sagte er, als er zu Nordlander zurückkam, der das Essen auspackte. »Das ist mir zu kalt. Badest du auch im Winter?«
    »Nein, aber ich habe es mir überlegt. In zehn Minuten ist das Essen klar. Mach doch eine Runde um die Klippe. Vielleicht ist eine Flaschenpost von einem gekenterten russischen U-Boot angetrieben.«
    Wallander fragte sich, ob diese Aufforderung einen ernsten Sinn verbarg. Doch er glaubte es nicht. Nordlander war kein Mann der dunklen Worte.
    Er setzte sich auf einen Felsblock, von dem er freie Sicht zum Horizont hatte, hob ein paar flache Steine auf und ließ sie über das Wasser springen. Wann hatte er zuletzt Steine geketschert? Er erinnerte sich an einen Besuch mit Linda in Stenshuvud, als sie ein Teenager war und sich nur widerwillig zu Ausflügen verlocken ließ. Da hatten sie Steine geketschert, und Linda hatte die Kunst viel besser beherrscht als er. Und jetzt ist sie so gut wie verheiratet, dachte er. Irgendwo stand ein Mann und wartete auf sie, und es war der Richtige. Wenn es nicht so gewesen wäre, säße ich jetzt nicht hier auf einer Klippe und grübelte über seine verschwundenen Eltern nach.
    Eines Tages würde er auch Klara beibringen, flache Steine übers Wasser zu werfen und sie wie Frösche hüpfen zu lassen, bevor sie versanken.
    Er wollte gerade aufstehen und gehen, Sten Nordlander hatte nach ihm gerufen, als er den Stein in seiner Hand genauer betrachtete. Grau, klein, ein Splitter schwedischen Gesteins. Ihm kam ein Gedanke in den Sinn, zunächst unklar, doch dann immer deutlicher.
    Er blieb so lange sitzen, bis Nordlander ein zweites Mal rief. Da ging er zum Picknick, den Gedanken in der Erinnerung gespeichert.
    Als er sich am Abend vor der Haustür in der Grevgata von Sten Nordlander verabschiedet hatte, beeilte er sich, hinauf in die Wohnung zu kommen.
    Es zeigte sich, dass er recht gehabt hatte. Der kleine Granitstein, der auf Håkan von Enkes Schreibtisch

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