Wallander 10 - Wallanders erster Fall
gewesen war, hatte nach etwas gesucht. Er trat zum Fenster und versuchte zu erkennen, ob es aufgebrochen worden war, aber er fand keine Spuren von Gewaltanwendung. Das hieß, es waren zwei Schlußfolgerungen möglich. |38| Der Unbekannte, der in Håléns Wohnung gewesen war, hatte Schlüssel, und er oder sie hatte nicht ertappt werden wollen.
Wallander machte das Licht im Zimmer an und begann nachzuschauen, ob etwas, was sich vorher dort befunden hatte, jetzt fehlte. Aber er war sich seiner Erinnerung nicht sicher. Das, was ins Auge fiel, war noch da. Der Käfer aus Brasilien, die beiden Seemannsbücher und die alte Fotografie. Doch der Umschlag, in dem die Fotografie gesteckt hatte, lag auf dem Fußboden. Wallander bückte sich und hob ihn auf.
Jemand hatte die Fotografie herausgenommen.
Die einzige Erklärung, die Wallander finden konnte, war, daß jemand etwas anderes gesucht hatte, das sich vielleicht in einem Umschlag hätte befinden können.
Er legte den Umschlag zur Seite und sah sich weiter um. Die Bettlaken waren vom Bett gerissen, der Kleiderschrank stand offen. Einer von Håléns Anzügen lag auf dem Fußboden. Jemand hat etwas gesucht, dachte Wallander. Die Frage ist nur, was. Und ob er oder sie es gefunden hat, bevor es an der Tür geklingelt hat.
Er ging hinaus in die Küche. Die Küchenschränke standen offen. Ein Topf war herausgefallen und lag auf dem Fußboden. Vielleicht war er davon geweckt worden? Eigentlich ist die Antwort klar, dachte er. Wenn die Person, die hier gewesen ist, gefunden hätte, wonach sie suchte, hätte sie sich aus dem Staub gemacht. Und dann wohl kaum durchs Fenster. Also befindet sich das, was sie gesucht hat, möglicherweise noch in der Wohnung. Wenn es jemals hier war.
Wallander kehrte ins Zimmer zurück und betrachtete das eingetrocknete Blut auf dem Fußboden. Was war passiert, fragte er sich. War es wirklich Selbstmord?
Er ging die Wohnung noch einmal durch. Aber als es zehn nach vier geworden war, gab er auf. Kehrte in seine Wohnung zurück und legte sich ins Bett. Er stellte den Wecker auf sieben Uhr. Am Morgen würde er als erstes mit Hemberg sprechen.
Am nächsten Tag regnete es Bindfäden über Malmö, als Wallander zur Bushaltestelle lief. Er hatte unruhig geschlafen und war lange vor dem Klingeln des Weckers wach. Der Gedanke, daß er Hemberg |39| mit seiner Wachsamkeit imponieren könnte, hatte ihn davon phantasieren lassen, eines Tages ein herausragender Kriminalbeamter zu sein. Dieser Gedanke hatte auch dafür gesorgt, daß er sich entschloß, Mona die Meinung zu sagen. Man durfte nicht erwarten, daß ein Polizist sich immer an die Zeiten halten konnte.
Es war vier Minuten vor sieben, als er im Polizeipräsidium eintraf. Er hatte gehört, daß Hemberg oft sehr früh zur Arbeit kam, und in der Anmeldung sagte man ihm, daß es auch heute so war. Hemberg war schon gegen sechs Uhr gekommen. Wallander ging in die Kriminalabteilung hinauf. Die meisten Büros standen noch leer. Er ging direkt zu Hembergs Tür und klopfte an. Als er Hembergs Stimme hörte, öffnete er und trat ein. Hemberg saß auf seinem Besucherstuhl und schnitt sich die Fingernägel.
Als er sah, daß es Wallander war, runzelte er die Stirn. »Hatten wir eine Verabredung? Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Nein, aber ich wollte etwas berichten.«
Hemberg legte die Nagelschere zwischen seine Bleistifte und setzte sich hinter den Schreibtisch. »Wenn es länger als fünf Minuten dauert, kannst du dich setzen«, sagte er.
Wallander blieb stehen. Dann schilderte er, was passiert war. Er begann mit dem Buchverkäufer und berichtete anschließend von den Ereignissen der Nacht. Ob Hemberg mit Interesse zuhörte oder nicht, konnte er nicht beurteilen. Hembergs Gesicht verriet überhaupt nichts.
»Das war alles«, schloß Wallander. »Ich dachte, ich sollte es so schnell wie möglich berichten.«
Hemberg nickte Wallander zu, sich zu setzen. Dann zog er seinen Kollegblock hervor, suchte einen Bleistift aus und notierte den Namen und die Telefonnummer des Bücherverkäufers Holmberg. Wallander merkte sich den Kollegblock. Hemberg benutzte also keine losen Blätter und keine vorgedruckten Berichtsformulare.
»Der nächtliche Besuch ist eigenartig«, sagte Hemberg. »Aber im Grunde ändert er nichts. Hålén hat Selbstmord begangen. Davon bin ich überzeugt. Wenn die Obduktion und die Untersuchung der Waffe abgeschlossen sind, werden wir die Bestätigung haben.« »Die Frage bleibt
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