Wallander 10 - Wallanders erster Fall
trotzdem, wer in der Nacht in der Wohnung gewesen ist.«
|40| Hemberg zuckte mit den Schultern. »Du hast selbst eine denkbare Antwort gegeben. Jemand, der einen Schlüssel besitzt. Der etwas gesucht hat, das er oder sie gern wiederhaben wollte. Gerüchte verbreiten sich schnell. Die Leute haben die Streifenwagen und den Krankenwagen gesehen. Daß Hålén tot ist, wußten viele schon nach ein paar Stunden.«
»Dennoch ist es sonderbar, daß diese Person durchs Fenster gesprungen ist.«
Hemberg lächelte. »Vielleicht glaubte sie, du wärst ein Einbrecher«, sagte er.
»Der an der Tür klingelt?«
»Eine ganz normale Methode, um festzustellen, ob jemand zu Hause ist.«
»Um drei Uhr in der Nacht?«
Hemberg legte den Stift zur Seite und beugte sich vor. »Du scheinst nicht überzeugt zu sein«, sagte er, ohne zu verbergen, daß Wallander anfing, ihn zu irritieren.
Wallander sah sogleich ein, daß er zu weit gegangen war. »Natürlich bin ich das«, sagte er. »Selbstverständlich war es Selbstmord.«
»Gut«, sagte Hemberg. »Dann sagen wir das. Es war gut, daß du mir berichtet hast. Ich werde ein paar Leute hinüberschicken, die alles noch einmal durchgehen. Dann warten wir auf die Berichte der Ärzte und Techniker. Und anschließend packen wir Hålén in eine Mappe und vergessen ihn.«
Hemberg legte die Hand auf den Telefonhörer als Zeichen dafür, daß das Gespräch beendet war, und Wallander verließ das Zimmer. Er kam sich vor wie ein Idiot. Was hatte er sich eigentlich eingebildet? Daß er einem Mord auf die Spur gekommen war? Er ging in sein Zimmer hinunter und sagte sich, daß Hemberg recht hatte. Er mußte die Gedanken an Hålén ein für allemal verbannen und noch eine Weile ein fleißiger Ordnungspolizist sein.
Am Abend kam Mona nach Rosengård. Sie aßen zusammen, und Wallander sagte nichts von dem, was er sich zu sagen vorgenommen hatte. Statt dessen entschuldigte er sich erneut, daß er zu spät gekommen war. Mona nahm die Entschuldigung an und blieb die Nacht über bei ihm.
|41| Sie lagen lange wach und redeten über den Juli, wenn sie gemeinsam zwei Wochen Urlaub machen wollten. Immer noch hatten sie sich nicht entschieden, was sie tun wollten. Mona arbeitete in einem Damenfrisiersalon und verdiente nicht besonders viel. Ihr Traum war es, irgendwann einen eigenen Salon zu eröffnen. Wallander hatte auch kein hohes Gehalt. Genau 1896 Kronen im Monat. Sie hatten kein Auto und würden gezwungen sein, sorgfältig zu haushalten, damit das Geld reichte.
Wallander hatte vorgeschlagen, nach Norden zu reisen und ins Fjäll zu gehen. Er war nie weiter gekommen als bis Stockholm. Aber Mona wollte irgendwohin, wo man baden konnte. Sie hatte nachgerechnet, ob ihr gemeinsames Erspartes für eine Reise nach Mallorca reichen würde. Aber es war zu wenig. Statt dessen schlug Mona vor, nach Skagen in Dänemark zu fahren. Sie war ein paarmal als Kind mit ihren Eltern dort gewesen und hatte es nie vergessen. Sie hatte außerdem in Erfahrung gebracht, daß es dort billige Pensionen gab, die noch nicht ausgebucht waren.
Bevor sie einschliefen, hatten sie sich geeinigt: Sie würden nach Skagen fahren. Schon am nächsten Tag würde Mona ein Zimmer reservieren, während Wallander die Zugabfahrten von Kopenhagen herausfinden wollte.
Am nächsten Abend, es war der 5. Juni, besuchte Mona ihre Eltern in Staffanstorp. Wallander spielte ein paar Stunden Poker mit seinem Vater. Ausnahmsweise war der Vater in guter Stimmung und kritisierte Wallanders Berufswahl nicht. Als es ihm außerdem noch gelang, seinen Sohn um fast fünfzig Kronen zu erleichtern, war er so guter Laune, daß er eine Flasche Cognac hervorholte.
»Irgendwann fahre ich nach Italien«, sagte er, nachdem sie angestoßen hatten. »Und außerdem will ich einmal in meinem Leben die Pyramiden in Ägypten sehen.«
»Warum das?«
Der Vater betrachtete ihn lange. »Das war eine außerordentlich dumme Frage«, sagte er dann. »Natürlich muß man Rom gesehen haben, bevor man stirbt, und die Pyramiden. Das ist doch ganz normal für Menschen mit Lebensart.«
»Wie viele Schweden können es sich eigentlich leisten, nach Ägypten zu fahren? Was glaubst du?«
|42| Der Vater tat, als hörte er den Einwand nicht.
»Aber ich werde nicht sterben«, sagte er statt dessen. »Ich werde nach Löderup ziehen.«
»Und wie geht es mit dem Hauskauf?«
»Der ist schon klar.«
Wallander blieb der Mund offenstehen. »Was meinst du mit klar?«
»Daß ich das
Weitere Kostenlose Bücher