Wallander 10 - Wallanders erster Fall
wo sie wohnten, bin ich eines Sonntags dort vorbeigegangen.«
»Sie haben also auch die Tochter nie getroffen?«
Gunnar Larsson blickte Wallander fragend an. »Hatten sie Kinder?«
»Das wußten Sie nicht?«
»Nein.«
»Sie haben eine Tochter. Matilda.«
Wallander beschloß, nicht zu erwähnen, daß sie schwerbehindert war. Ganz offensichtlich wußte Gunnar Larsson nicht, daß sie überhaupt existierte.
Wallander legte den Stift auf den Tisch. »Was dachten Sie, als Sie erfuhren, was geschehen war?«
»Es war vollkommen unbegreiflich.«
»Hätten Sie sich vorstellen können, daß ihm so etwas passiert?« »Das kann ich immer noch nicht. Wer soll einen Grund gehabt haben, ihn zu ermorden?«
|229| »Genau das versuchen wir herauszufinden.«
Wallander bemerkte plötzlich, daß Gunnar Larsson sich unwohl fühlte. Es war, als könne er sich nicht entscheiden, was er sagen wollte.
»Sie denken an etwas?« fragte Wallander vorsichtig. »Habe ich recht?«
»Es gab eine Reihe von Gerüchten«, sagte Gunnar Larsson zögernd. »Gerüchte, daß Simon Lamberg spielte.«
»Wie, spielte?«
»Um Geld spielte. Jemand hatte ihn in Jägersro gesehen.«
»Nach Jägersro zu gehen ist doch nichts Besonderes.«
»Das nicht, aber außerdem wurde behauptet, daß er regelmäßig in illegalen Spielklubs verkehrte. In Malmö und in Kopenhagen.«
Wallander runzelte die Stirn. »Wo haben Sie das gehört?«
»Es kursieren viele Gerüchte in einer kleinen Stadt wie Ystad.« Wallander wußte nur allzu gut, wie zutreffend diese Feststellung war.
»Es hieß, er habe große Schulden.«
»Und, hatte er?«
»Nicht in der Zeit, als ich dort gearbeitet habe. Das konnte ich anhand der Buchführung erkennen.«
»Er könnte hohe private Kredite aufgenommen haben. Oder Wucherern in die Hände gefallen sein.«
»Davon habe ich, falls es so war, nichts mitbekommen.«
Wallander überlegte. »Gerüchte entstehen nie ohne Grund«, sagte er.
»Das ist jetzt so lange her«, antwortete Gunnar Larsson. »Wo oder wann ich diese Gerüchte gehört habe, weiß ich nicht mehr.«
»Kannten Sie das Fotoalbum, das er im Schreibtisch verschlossen hatte?«
»Ich habe nie gesehen, was er in seinem Schreibtisch hatte.«
Wallander war sicher, daß der Mann ihm gegenüber die Wahrheit sagte. »Hatten Sie eigene Schlüssel, als Sie bei Lamberg gearbeitet haben?«
»Ja.«
»Und was haben Sie damit gemacht, als Sie aufgehört haben?«
»Ich habe die Schlüssel natürlich zurückgegeben.«
|230| Wallander nickte. Weiter würde er nicht kommen. Simon Lamberg schien ihm in all seiner Farblosigkeit immer rätselhafter zu werden, je mehr Menschen er befragte. Er notierte sich Gunnar Larssons Telefonnummer und Adresse. Das Gespräch war vorüber, und Wallander begleitete ihn hinaus zur Anmeldung. Dann ging er in den Eßraum, holte sich eine Tasse Kaffee und kehrte in sein Zimmer zurück. Er nahm den Hörer vom Telefon und legte ihn daneben. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so ratlos gewesen war. In welche Richtung sollten sie sich eigentlich wenden, um nach einer Lösung zu suchen? Alles schien aus losen Enden zu bestehen. Obwohl er versuchte, es zu vermeiden, drängte sich ihm die Erinnerung an sein eigenes entstelltes und in ein Fotoalbum eingeklebtes Gesicht immer wieder auf.
Die losen Enden hingen nirgendwo zusammen.
Er schaute auf die Uhr. Bald zwölf. Er war hungrig. Der Wind draußen schien weiter zuzunehmen. Er legte den Hörer wieder auf die Gabel. Sofort klingelte es. Es war Nyberg, der ihm mitteilte, daß die technische Untersuchung abgeschlossen war und daß sie nichts Unerwartetes gefunden hatten.
Jetzt konnte Wallander auch die anderen Räume untersuchen.
Er setzte sich an den Schreibtisch und versuchte, eine Zusammenfassung zu schreiben. In Gedanken führte er ein Gespräch mit Rydberg und verfluchte den Umstand, daß dieser nicht da war. Was tue ich jetzt? Wie komme ich weiter? Wir tasten herum, als drehten wir uns im Kreis.
Er las durch, was er geschrieben hatte. Versuchte, ein verborgenes Geheimnis aus der Zusammenfassung herauszulocken. Aber er fand keins. Irritiert schob er den Kollegblock fort. Es war Viertel vor eins. Am besten würde er erst einmal etwas essen. Später am Nachmittag würde er ein weiteres Gespräch mit Elisabeth Lamberg führen. Er sah ein, daß er zu ungeduldig war. Immerhin waren erst vierundzwanzig Stunden vergangen, seit Simon Lamberg ermordet worden war.
Er stellte sich vor, daß Rydberg ihm
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