Wallander 10 - Wallanders erster Fall
der Konditorei fuhr Wallander hinauf in den Lavendelväg. Wieder machte Karin Fahlman ihm auf. Aber diesmal hatte Elisabeth Lamberg sich nicht hingelegt. Sie saß im Wohnzimmer und wartete, als Wallander eintrat. Auch diesmal überraschte ihn ihre Blässe. Er hatte das Gefühl, daß sie irgendwie von innen kam und weit zurückreichende Ursachen hatte. Daß sie nicht nur eine Reaktion darauf war, daß ihr Mann ermordet worden war.
Wallander setzte sich ihr gegenüber. Sie sah ihn forschend an.
»Wir sind einer Lösung noch nicht nähergekommen«, sagte er.
»Ich gehe davon aus, daß Sie tun, was Sie können«, erwiderte sie.
Wallander fragte sich im stillen, was sie damit hatte sagen wollen. War es eine versteckte Kritik an der Arbeit der Polizei? Oder meinte sie es ehrlich?
»Das ist mein zweiter Besuch bei Ihnen«, begann er, »aber wir müssen davon ausgehen, daß es nicht der letzte sein wird. Es tauchen ständig neue Fragen auf.«
»Ich werde antworten, so gut ich kann.«
»Diesmal bin ich nicht gekommen, um Fragen zu stellen«, fuhr Wallander fort. »Diesmal würde ich gern die persönlichen Dinge Ihres Mannes in Augenschein nehmen.«
Sie nickte, sagte aber nichts.
Wallander hatte sich entschlossen, direkt zur Sache zu kommen.
»Hatte Ihr Mann Schulden?«
»Nicht, soweit ich weiß. Das Haus ist bezahlt. Er hat im Atelier nie in etwas investiert, ohne sicher zu sein, die Kredite innerhalb kurzer Zeit zurückzahlen zu können.«
»Kann er Kredite aufgenommen haben, von denen Sie nichts gewußt haben?«
»Natürlich. Das habe ich schon erklärt. Wir lebten unter dem |234| gleichen Dach, aber getrennte Leben. Und er war sehr geheimnisvoll.«
Wallander griff den letzten Satz noch einmal auf.
»Auf welche Weise war er geheimnisvoll? Das habe ich immer noch nicht wirklich verstanden.«
Sie sah ihn eindringlich an. »Was ist ein geheimnisvoller Mensch? Vielleicht sollte man lieber sagen, daß er ein verschlossener Mensch war. Man wußte nie, ob er wirklich meinte, was er sagte, oder etwas ganz anderes dachte. Ich konnte direkt neben ihm stehen und trotzdem das Gefühl haben, daß er sich irgendwo weit weg befand. Ich konnte nie sagen, ob es wirklich echt war, wenn er lächelte. Ich konnte nie sicher sein, wer er eigentlich war.«
»Es muß eine schwierige Situation gewesen sein«, sagte Wallander. »Aber es kann doch nicht immer so gewesen sein.«
»Er hatte sich sehr verändert. Das begann schon, als Matilda geboren wurde.«
»Vor vierundzwanzig Jahren?«
»Vielleicht nicht unmittelbar. Sagen wir, vor zwanzig Jahren. Ich begann zu glauben, daß es die Trauer über Matildas Schicksal war. Bis es schlimmer wurde.«
»Schlimmer? Wann war das?«
»Vor ungefähr sieben Jahren.«
»Was passierte da?«
»Ich kann es nicht genau sagen.«
Wallander hielt inne und ging dann noch einmal zurück. »Wenn ich richtig verstanden habe, passierte vor sieben Jahren etwas, was ihn dramatisch veränderte.«
»Ja.«
»Haben Sie überhaupt keine Vorstellung, was es gewesen sein könnte?«
»Vielleicht doch. In jedem Frühjahr überließ er dem Angestellten vierzehn Tage das Geschäft. Dann unternahm er eine Busreise hinunter nach Europa.«
»Und Sie fuhren nicht mit?«
»Er wollte allein sein. Ich hatte auch keine Lust. Wenn ich fort wollte, bin ich mit meinen Freundinnen verreist. Ganz woandershin.«
|235| »Was geschah damals?«
»Damals ging die Reise nach Österreich, und als er zurückkam, war er völlig verändert. Wirkte ausgelassen und traurig zur gleichen Zeit. Als ich nachfragte, bekam er einen der wenigen Wutanfälle, die ich bei ihm erlebt habe.«
Wallander hatte begonnen, sich Notizen zu machen.
»Wann genau war das?«
»1981, im Februar oder März. Die Busreise wurde von Stockholm aus organisiert. Aber Simon ist in Malmö zugestiegen.«
»Sie erinnern sich nicht zufällig daran, wie das Reisebüro hieß?«
»Ich glaube, es war Mark-Reisen. Er fuhr fast immer mit denen.«
Wallander steckte den Notizblock in die Tasche, nachdem er den Namen notiert hatte.
»Jetzt würde ich mich gern umsehen«, sagte er. »Vor allem natürlich in seinem Zimmer.«
»Er hatte zwei. Ein Schlafzimmer und ein Arbeitszimmer.«
Beide lagen im Souterrain. Wallander warf einen schnellen Blick ins Schlafzimmer und öffnete die Kleiderschranktür. Elisabeth Lamberg stand hinter ihm und sah ihm zu. Dann gingen sie in das geräumige Arbeitszimmer.
An den Wänden standen Bücherregale. Es gab eine umfangreiche
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