Wallander 10 - Wallanders erster Fall
über die Wände wandern. Über den Schreibtisch und die Bücherregale. Dann stand er auf und ging in die Dunkelkammer. Machte die rote Lampe an. Alles war so wie in seiner Erinnerung. Der schwache Geruch von Chemikalien. Die leeren Plastikwannen. Der Vergrößerungsapparat.
Nachdenklich ging er zurück zum Schreibtisch. Blieb stehen. Woher der Impuls gekommen war, konnte er nicht sagen, aber er ging hinüber zur Bücherwand, wo das Radio stand, und schaltete es ein.
Die Musik war ohrenbetäubend.
Er starrte das Radio an. Die Lautstärke war dieselbe.
Aber es war keine klassische Musik. Sondern wilde Rockmusik.
Wallander war überzeugt davon, daß weder Nyberg noch er selbst noch einer der Kollegen von der Spurensuche den Sender verstellt hatten. Sie rührten nie etwas an, solange es nicht aus arbeitstechnischen Gründen sein mußte. Sie würden nicht einmal im Traum daran denken, das Radio anzumachen, um bei der Arbeit Musik zu haben.
Wallander zog ein Taschentuch aus der Tasche und schaltete das Radio aus. Es gab nur eine Möglichkeit.
Der Unbekannte hatte die Sendereinstellung geändert.
Die Frage war nur, warum?
Um zehn Uhr am Vormittag konnte die Besprechung der Ermittlungsgruppe endlich beginnen. Die Verspätung hing damit zusammen, daß Wallander nicht früher vom Zahnarzt zurückgekommen war. Jetzt eilte er mit einer provisorischen Krone, einer geschwollenen Backe und einem großen Pflaster an der Schläfe in die Besprechung. Er spürte allmählich ernsthaft seinen Mangel an Schlaf. Aber noch ernsthafter war die Unruhe, die in ihm nagte.
Es waren jetzt gut vierundzwanzig Stunden vergangen, seit Hilda Waldén den toten Fotografen entdeckt hatte. Wallander gab zu Beginn der Sitzung einen Überblick über die Ermittlungslage. |225| Anschließend berichtete er ausführlich über die Ereignisse der vergangenen Nacht.
»Wer der Unbekannte war und was er im Laden gewollt hat, muß natürlich geklärt werden«, schloß er. »Aber ich glaube, wir können mit ziemlicher Sicherheit die Möglichkeit ausschließen, daß es sich bei dem Mord an Simon Lamberg um einen gewöhnlichen Einbruch gehandelt hat, bei dem der Dieb die Kontrolle verloren hat.«
»Die veränderte Sendereinstellung des Radios ist sonderbar«, meinte Svedberg. »Kann etwas im Inneren des Geräts versteckt gewesen sein?«
»Das haben wir untersucht«, antwortete Nyberg. »Um die äußere Hülle abzunehmen, muß man acht Schrauben lösen. Das ist nicht geschehen. Das Radio ist noch nie geöffnet worden. Die Schraubenköpfe sind noch immer dünn mit demselben Lack überzogen, der damals in der Fabrik verwendet wurde.«
»Es gibt vieles, was sonderbar ist«, sagte Wallander. »Nicht zu vergessen das Album mit den entstellten Bildern. Der Witwe zufolge war Simon Lamberg ein Mann, der viele Geheimnisse mit sich herumtrug. Ich glaube, daß wir jetzt versuchen müssen, uns ein Bild davon zu machen, wer er eigentlich gewesen ist. Ganz offenbar stimmt die Fassade nicht mit dem überein, was sich dahinter befindet. Der höfliche, schweigsame und pedantische Fotograf scheint im Grunde genommen ein ganz anderer gewesen zu sein.«
»Die Frage ist nur, wer mehr über ihn wissen könnte«, überlegte Martinsson. »Wenn er doch keine Freunde gehabt hat. Niemand scheint ihn gekannt zu haben.«
»Wir haben die Amateurastronomen in Lund«, sagte Wallander. »An die müssen wir uns wenden. Ebenso an frühere Angestellte. Man kann nicht ein ganzes Leben in einer Stadt wie Ystad verbringen, ohne daß jemand einen kennt. Außerdem hat Elisabeth Lamberg uns bestimmt noch das eine oder andere zu sagen.«
»Ich habe mit Backman gesprochen«, berichtete Svedberg. »Du hattest recht, er war wach. Als ich in seine Wohnung kam, war auch seine Frau schon auf und fix und fertig angezogen. Die beiden machten den Eindruck, als ob es mitten am Tag wäre und nicht erst vier Uhr früh. Leider konnte er keine Personenbeschreibung |226| des Mannes geben, der dich niedergeschlagen hat. Außer daß er eine halblange, vermutlich dunkelblaue Jacke getragen hat.«
»Konnte er nicht einmal sagen, ob er groß oder klein war? Und was für eine Haarfarbe hatte er?«
»Es ist zu schnell gegangen. Backman wollte nur Dinge sagen, deren er sich auch sicher ist.«
»Eines wissen wir auf jeden Fall über denjenigen, der mich niedergeschlagen hat«, sagte Wallander. »Er kann entschieden schneller laufen als ich. Und seine Kondition ist bestens. Meiner Ansicht nach ist er von
Weitere Kostenlose Bücher