Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
er saß 331
hervorragend und duftete zu meiner großen Überraschung sogar leicht nach Rosen. »Das hätte ich nicht gedacht, aber er sitzt etwas knapp unter den Achseln.«
»Na gut, dann gehe ich also davon aus, daß du den Umhang nicht haben willst, richtig?«
»Es liegt mir fern, dich zu kränken«, sagte ich. »Aber ich kann ihn ja einfach ausziehen, wenn ich nach draußen gehe.«
Sie kam dicht an mich heran, um mir die Spange am Hals zu befestigen, und ohne nachzudenken, küßte ich sie, und zwar so oft, bis ich allmählich den Überblick darüber verlor, wie oft ich sie geküßt hatte.
»Und? Wie gefällt dir das?« fragte sie.
»Ganz gut«, murmelte ich verlegen.
Phaidra hatte mittlerweile die Spange befestigt, aber sie ließ nicht von mir ab und fragte mit sanfter Stimme: »Und wann werde ich endlich ausgeschimpft?«
»Wofür denn?«
»Ach, natürlich dafür, daß ich Aristophanes von diesen blöden Kostümen erzählt habe.« Sie schloß die Augen und streckte mir den Kopf entgegen.
»Vielleicht später, wenn ich etwas mehr Zeit habe«, sagte ich.
»Na gut, du hast deine Gelegenheit gehabt«, entgegnete sie. »Aber was noch viel wichtiger ist, wann kommst du endlich dazu, mir zu danken? Nämlich dafür, daß ich dir das Stück wie eine Göttin auf dem Flugapparat in letzter 332
Minute gerettet habe?« Sie stand auf den Zehenspitzen, bis ihre Lippen meinen sehr nahe waren, und ich küßte sie erneut.
»Nennst du das bedanken? Du hast nicht mal den Mund aufgemacht«, beschwerte sie sich.
»Habe ich doch«, antwortete ich. »Und mehr Dank verdienst du auch nicht. Und würdest du jetzt bitte damit aufhören, an mir hochzuklettern, und mich gehen lassen?«
Phaidra zog eine Grimasse und ließ mich los. »Du wirst schon sehen, was du davon hast«, sagte sie. »Wenn du gehst, brauchst du erst gar nicht wiederzukommen. Nur zu, ich kann deinen Anblick sowieso nicht mehr ertragen.«
»Gut«, entgegnete ich. »Dann willst du also nicht mit ins Theater kommen?«
»Wie bitte? Und dann verpassen, wie du von der Bühne gebuht wirst? Nicht für alles Parfüm in Korinth möchte ich das verpassen wollen.«
Ich nahm meinen Spazierstock und betrachtete mein Spiegelbild in einem polierten Bronzekrug – ein Irrer, sagte ich mir, aber ein begabter Irrer. Dann sah ich Phaidras Gesicht über meine Schulter lugen und drehte mich um.
Sie drückte mir die Nase gegen die Brust und flüsterte:
»Eupolis?«
»Ja, was denn?«
»Viel Glück. Ich weiß, daß die Leute das Stück hassen werden, aber ich hoffe, sie werfen wenigstens nicht mit 333
Steinen nach dir. Ich habe es nämlich gründlich satt, daß du blutüberströmt ins Bett kommst.«
»Glück? Wer braucht das schon?« gab ich selbstherrlich zur Antwort. Dann schwang ich mir den Umhang wie ein Rittmeister bei den Panathenäen um die Schultern und wollte ihr einen flüchtigen Kuß auf den Mund drücken, verfehlte dabei aber ihre Lippen und kam statt dessen mit ihrer Nase in Berührung. Sie nannte mich daraufhin einen tolpatschigen Narren und kicherte vor Vergnügen.
»Wenn du mich das nächstemal siehst«, sagte ich im Türrahmen, wobei ich mich wie eine Statue in Pose warf,
»werde ich bereits der größte Dichter in ganz Athen sein, und dann wird dir alles noch schrecklich leid tun.«
»Im Moment bin ich jedenfalls nicht sonderlich verzückt«, erwiderte sie lächelnd.
»Ich werde wie König Leonidas höchstpersönlich zurückkehren, mit meiner Harfe oder sogar darauf«, entgegnete ich. Dann trat ich erhaben aus der Tür hinaus, tat so, als würde ich über mein neues Gewand stolpern, und winkte noch zum Abschied zurück.
»Habe ich denn eine andere Wahl?« rief mir Phaidra hinterher.
Während ich die Straße hinunterrauschte, drückte ich den Kragen meines Chitons gegen die Wange und fühlte mich, wie sich Achilles gefühlt haben muß, als er in der Rüstung, die der Gott des Feuers höchstpersönlich für ihn geschmiedet hatte, das erstemal in den Kampf zog. Oder vielleicht fühlte ich mich eher wie Hektor, als er an jenem Tag aufbrach, an dem ihm Zeus so lange anhaltenden 334
Erfolg versprach, wie das Tageslicht dauerte. Denn obwohl mein Körper in Flammen stand, wo immer er vom Chiton oder Umhang berührt wurde, und desgleichen mein Herz, war meine Seele immer noch so kalt wie Eis.
Als ich beim Theater ankam, füllte es sich allmählich, und nachdem ich ein Würstchen und ein kleines Brot von einem der fliegenden Händler gekauft hatte, setzte ich
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