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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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zwischen Catina und Athen gebe, die große Bedeutung für einen Mann wie ihn hätten, der richtig verrückt nach Theater sei, was der wahre Grund für seinen Athenbesuch zu dieser Jahreszeit sei, zumal die beste Zeit für Trockenfisch eigentlich später um die Zeit der Lenaia komme, aber Ausländern sei es natürlich nicht gestattet, zur Lenaia zu gehen, was er natürlich verstehen könne, da es hier in Athen ein ganz besonderes und bedeutungsvolles religiöses Ereignis darstelle, was aber nichtsdestotrotz ein Jammer für einen Mann sei, der geradezu wild nach Theater sei, wie alle Sizilianer, obwohl es in Sizilien kein einheimisches Theater gebe, weil die meisten Städte in Sizilien dorische Gründungen seien, nicht ionische, und die Dorier Dionysos in anderer Form huldigten, obwohl es für die Weingärten eigentlich nicht den leisesten Unterschied mache, denn wenn es sich der alte Dionysos in den Kopf gesetzt habe, es ein schlechtes Jahr werden zu lassen, dann sei es das auch, so glaube er jedenfalls, und was ich denn eigentlich davon halte.
    »Ich heiße Eupolis«, erwiderte ich. »Willkommen in Athen.«
    Dann sagte der Ausrufer die erste Tragödie an, und Perikleidas wurde ein bißchen stiller, als er erst einmal verstanden hatte, daß mir die Geschichte von Ödipus durchaus bekannt war. Ansonsten erinnere ich mich an nichts Besonderes aus der gerade beginnenden Tragödie und den anderen danach, allerdings wünschte ich mir, sie 338
    sollen so lange wie möglich dauern, vorausgesetzt, sie waren kurzweilig. Und dann brüllte der Ausrufer:
    »Eupolis, laß deinen Chor auftreten!«, und ich schlug mir die Hände vor die Augen, nahm sie aber dann aus Angst, etwas zu verpassen, schnell wieder herunter. Perikleidas lehnte sich zu mir herüber und flüsterte: »Bist du das?«
    »Ja«, bestätigte ich.
    »Also, ist das nicht herrlich?« seufzte er begeistert und klatschte sich vor lauter Freude mit den Handflächen auf die Knie.
    Und dann sagten die Schauspieler ihre Verse auf, und der Chor tanzte, und Aristobulos bekam die Kleon-Szene zum erstenmal richtig hin, und nicht ein Mitglied des Chors vergaß während der Hymne an Poseidon die Ruderbewegungen, und als alles vorbei und der Chor wieder von der Bühne getanzt war, beugte sich Perikleidas zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: »Also, mir hat es jedenfalls gefallen.«
    Zum erstenmal schien ich keine Schwierigkeiten zu haben, aus dem Theater hinauszukommen, da sich die anderen Besucher vor mir aufzulösen schienen, als wären sie Geister. Aber ich konnte sie unablässig plaudern hören, wie es das Theaterpublikum tut, und alle sagten: »Macht nichts, wir können uns ja schon mal auf morgen freuen, dann ist Aristophanes nämlich an der Reihe. Nun muß er wirklich wissen, wie man eine Komödie schreibt.« Und anstatt sich um mich zu drängen, während ich an ihnen vorbeiging, hielten sich die Würstchenverkäufer von mir fern und ließen mich an ihnen vorüberziehen, ganz so, wie 339
    die Wächter an den Stadttoren vor Aussätzigen zurückweichen.
    Philonides versuchte zwar, mich aufzumuntern, doch sah ich, daß er wütend darüber war, einen Verlierer unterstützt und sich lächerlich gemacht zu haben, während sich die Chormitglieder die Kostüme vom Leib rissen und zurück in die Kostümtruhe warfen, als fürchteten sie sich davor, sich irgendeine ansteckende Krankheit von ihnen zu holen. Ich entschuldigte mich lieber und spazierte nachdenklich ins Theater zurück, das inzwischen bis auf die wenigen Sklaven, die für den nächsten Tag die Abfälle zusammenkehrten, ziemlich leer war. Dann setzte ich mich unter die große Dionysosstatue und brach in Tränen aus.
    Während ich schluchzend dasaß, hörte ich über mir eine Stimme, und ich wußte, daß sie von der Statue kam.
    »Ganz schön schlimm, mein lieber Eupolis«, sagte sie,
    »aber es kommt noch viel schlimmer. Nein, blick dich nicht um! Du siehst mich noch früh genug, und zwar im Garten hinter der Mauer, wie ich es dir versprochen habe.
    Das war ein schlechtes Stück, Sohn des Euchoros. Zeig mir beim nächstenmal etwas Besseres, falls du jemals wieder einen Chor bekommst.«
    Ich lauschte noch eine Weile, aber es kam nichts mehr, und schließlich stand ich auf und machte mich auf den Nachhauseweg. Die Straßen waren genauso still und verlassen wie an jenem Tag, als ich während der Pest aus dem Stall entkommen war, und das einzige lebendige Wesen, das ich sah, war ein Hund, der mir eine Zeitlang folgte,

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