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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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mich ans Ende einer der Mittelreihen und blickte mich nach allen Seiten um. Nichts klingt so wie das Theater kurz vorm Beginn des ersten Stücks; wie ein Schwarm wütender Bienen, wenn sie die ersten Rauchzüge aus der Lunge des Bienenzüchters riechen. Irgendwo weit hinten in den allerletzten Reihen sang ein Betrunkener ein Heimatlied, etwas über eine Schwalbe, die die guten Zeiten zurückbringt, und als er fertig war, erhielt er einen kurzen Applaus und sogar einige Beifallsrufe. Das Publikum hatte gute Laune, und ich blickte gen Himmel und dankte allen Göttern.
    Jemand, der gerade über die Bühne ging, winkte mir zu, und ich sah, daß es Phrynichos war, den ich nur vom Sehen her kannte; ein großer Mann mit einem schwarzen Bart und verbundenem linken Arm. Ich winkte zurück, nur für den Fall, daß mich jemand beobachtete, denn ich wollte nicht, daß man von mir als einem nachtragenden Mann sprach.
    Dann sah ich mich nach einem Omen um; aber am Himmel flogen keine Vögel, weder zur Linken noch zur Rechten.
    Da die Sonne aber grell schien, gab ich es bald auf und aß mein Würstchen weiter, das grauenhaft schmeckte. Das Brot wollte ich mir bis zum Schluß der ersten Tragödie aufheben.
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    Dann sah ich Kallikrates, den kleinen Zeus und meinen Onkel Philodemos die Treppe herunter auf mich zukommen, gab ihnen aber durch Handzeichen zu verstehen, woanders Platz zu nehmen, weil ich lieber zwischen Fremden sitzen wollte. Philodemos schien anfangs beleidigt zu sein, aber nachdem Kallikrates ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte, nickte er verständig, und die drei setzten sich direkt dorthin, wo sie gerade standen.
    Zwar hörte ich den kleinen Zeus etwas mit seiner lauten und sonoren Stimme sagen, allerdings gelang es mir nicht, die Wörter zu verstehen. Jedenfalls hoffte ich, daß er für mich betete.
    Kurz darauf sah ich etwa zwei, drei Reihen unter mir einen Kahlkopf vorbeigehen, der eine übel aussehende Rißwunde auf der Glatze hatte, und ich konnte nicht widerstehen, ihm etwas zuzurufen.
    Aristophanes blieb kurz stehen, schickte seine Freunde voraus, um ihm ein paar Reihen weiter einen Platz freizuhalten, und blickte, grinsend wie ein Affe, zu mir hoch. »Hallo!« rief er. »Und wie geht es heute morgen unserem Krüppel mit dem ekligen Ausschlag?«
    »Könnte nicht besser sein«, antwortete ich. »Und wie geht es unserem Zwei-Obolen-Odysseus nach seinem verpatzten Versuch, das Palladion zu stehlen?«
    Sein Grinsen wurde breiter, bis ich glaubte, sein Gesicht werde zerplatzen. »Dies ist ein ganz historisches Ereignis«, rief er. »Das letztemal, daß Eupolis von Pallene einen Chor auftreten lassen darf.«
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    Leider fiel mir in diesem Augenblick keine gute Antwort ein (später kamen mir Unmengen in den Sinn), und darum warf ich nur mit einer Nuß nach ihm. Aristophanes ging daraufhin weiter, lachte über seinen eigenen Witz und winkte irgendeiner wichtigen Persönlichkeit in der vordersten Reihe zu. Ich blickte finster drein, und mir fiel ein, daß Dolon ein treffenderer Vergleich als Odysseus gewesen wäre, doch riet mir meine innere Stimme, Aristophanes vorerst lieber zu vergessen, und ich rückte zur Seite, um einem dicken Mann mit Lederhut Platz zu machen.
    Ich fand bald eine ganze Menge über meinen Nachbarn heraus, zumal er mir selbst alles erzählte. Wie er sagte, sei er fremd in der Stadt, habe hier zwar geschäftlich zu tun, aber trotzdem seine Frau mitgebracht, weil sie unbedingt die Vorführung sehen wolle, sie sitze dort drüben mit den anderen Frauen, aber sie habe ein Kissen, deshalb sei das in Ordnung, und sie heiße übrigens Deianeira, und er sei Perikleidas, Sohn des Bellerophons, und seine Heimatstadt heiße Catina, die in Sizilien liege, aber natürlich eine Verbündete Athens und darauf auch sehr stolz sei, und er arbeite im Trockenfischgeschäft, weshalb er sich hier in Athen aufhalte, da ihm zu Hause die Leute ständig erzählt hätten, daß Athen der größte Markt für Trockenfisch außerhalb Persiens sei, besonders jetzt bei dem Krieg und allem, obwohl die Athener gerade im Moment aus irgendeinem Grund den Großteil ihres Trockenfischbedarfs aus Pontos zu beziehen schienen, was äußerst merkwürdig und schwer zu glauben sei, da er sich nicht denken könne, weshalb die Athener für ein minderwertiges Produkt zwei 337
    Obolen pro Quartkrug mehr bezahlen wollten, anstatt es von echten Griechen zu kaufen, zumal es seit geraumer Zeit eine solch starke Bande der Treue und Zuneigung

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