Walled Orchard 01: Der Ziegenchor
verabschiedete ich mich nur und ging. Auf dem Weg zum Marktplatz dachte ich darüber nach, was mein Onkel gesagt hatte, und mir fiel ein, daß der einzige Bekannte, der möglicherweise etwas über Phaidra wußte, Aristophanes war. Hatte er nicht in der Nacht mit den Serenadensängern etwas von ihren
›Angewohnheiten‹ gesagt? Aber wie konnte ich ihn um Hilfe bitten, nachdem ich ihn vor seinen Gästen lächerlich gemacht hatte? Stimmt, ich hatte mich sozusagen nur im voraus für das gerächt, was er mit mir vorgehabt hatte; allerdings bezweifelte ich, daß er das genauso gesehen hätte. Und dann kam mir ein furchtbarer Gedanke. Was, wenn mich Theoros, der einen Groll gegen ihn hegte, über Aristophanes’ Motiv, mich einzuladen, belogen hatte?
Was, wenn mich Aristophanes zu sich gebeten hatte, damit ich den Chorleiter Philonides und alle die anderen 195
wichtigen Persönlichkeiten kennenlernen konnte? Das Blut schien mir in den Adern zu gerinnen. Angenommen, der große Komödiendichter hatte mir wie ein Künstler dem anderen die Hand zur Freundschaft gereicht, und als Dank dafür hatte ich ihm seine Siegesfeier verdorben? Je genauer ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß Theoros gelogen hatte – schließlich gehörte er nicht zu der Sorte Mensch, der man glauben würde, nur weil sie einen namentlich kennt – und mir der schlimmste Fehler aller Zeiten unterlaufen war.
Während ich mich mit einem Gefühl, als hätte ich soeben meinen Gastgeber umgebracht, zwischen den Sardellenständen hindurchzwängte, mit wem anders mußte ich da zusammenstoßen als mit Aristophanes selbst? Er stritt sich gerade hitzig mit einem Fischhändler über einen Aal, den er am vorherigen Tag gekauft hatte und der, wie er Stein und Bein schwor, schlecht gewesen war. Der Fischhändler bestand darauf, daß ein echter kopaischer Aal, der unter Lebensgefahr für den Boten durch feindliche Linien geschmuggelt worden war, ein wenig streng riechen müsse, denn davon bekäme der Aal erst das Aroma, und ein richtiger Ehrenmann würde einen kopaischen Aal am Geschmack erkennen. Aristophanes erwiderte, er wisse sehr gut, wie kopaische Aale zu schmecken hätten, da er sie bereits in Gesellschaft der reichsten Männer Athens verzehrt habe, und ein richtiger kopaischer Aal führe nicht dazu, daß man sich eine halbe Stunde später wie der Ätna übergebe. Der Fischhändler, der offenbar nie ins Theater ging und deshalb nicht das Risiko erkannte, das er einging, entgegnete, daß wahrscheinlich selbst der wohlerzogenste 196
kopaische Aal ein wenig ausgelassen werden könne, wenn ihn ein Mann von zweifelhafter Staatsbürgerschaft wie Aristophanes, Sohn des Philippos, wie ein verhungernder Hund verschlinge, anstatt ihn wie ein Ehrenmann zu zerkauen und ihn dann mit einem halben Krug unvermischtem Wein hinunterzuspülen.
Aristophanes gab den ungleichen Kampf auf und zog sich an einen Nachbarstand zurück, um Krebse zu kaufen.
Ich trat von hinten an ihn heran und tippte ihm auf die Schulter. Er fuhr zusammen.
»Warum hast du das um Himmels willen getan?«
schnauzte er mich an. »Ich hätte beinahe mein Kleingeld verschluckt.«
Ich entschuldigte mich und spürte, daß ich dieses wichtige Gespräch nicht in der bestmöglichen Art und Weise angefangen hatte. Aristophanes fischte sich einen Obolos aus dem Mund, bezahlte die Krebse und wandte sich zum Gehen.
»Bitte, Aristophanes«, sagte ich kleinlaut, »ich möchte mich bei dir entschuldigen, daß ich dir die Feier verdorben habe.«
»Das will ich auch gemeint haben«, entgegnete er vorsichtig. »Das war das letztemal, daß ich versucht habe, einem jungen Dichter zu helfen.«
»Mir hat jemand eine scheußliche Lüge über dich aufgetischt«, erklärte ich, »und ich war so betrunken, daß ich sie geglaubt habe.«
197
»Du hast aber keinen besonders betrunkenen Eindruck gemacht, als du diese Anapäste ausgekotzt hast«, erwiderte er. »Ich wußte wirklich nicht, wo ich hinsehen sollte.
Kannst du dir für eine Siegesfeier ein schlimmeres Omen vorstellen? Ich kann mich glücklich schätzen, wenn ich nächstes Jahr überhaupt einen Chor bekomme.«
Ich hatte vergessen, wie abergläubisch er war, und schämte mich. »Es tut mir ehrlich leid«, murmelte ich verlegen. »Das war wirklich dumm von mir.«
»Ach, ist doch egal«, winkte er ab und zwang sich dabei zu einem Lächeln. »Was könnte schließlich ein besseres Omen sein, als in einer Parabase erwähnt zu
Weitere Kostenlose Bücher