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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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welche Seite wir zu guter Letzt verteidigen mußten. Sie fing mitten in einem Weingarten an und hörte schließlich am flachen Hang eines Hügels auf, entweder aus einsichtigen strategischen Gründen oder weil uns die Steine ausgingen. Während der ersten beiden Tage vertrieben wir uns einigermaßen unterhaltsam die Zeit mit Mutmaßungen über den Zweck und den genauen Grund, 227
    warum die Mauer an beiden Enden offen gelassen worden war, danach regnete es; nach allem, was man hörte, in diesem bestimmten Monat das erstemal seit den Zeiten des Tyrannen Polykrates. Ich hatte zuvor schon ein- oder zweimal an einem relativ geruhsamen Mauerbau teilgenommen, aber unter unseren Taxiarchen schien die allgemeine Ansicht zu herrschen, daß diese Mauer sehr bald gebraucht werden würde, obwohl das nicht erklärbar war. Als in der dritten Nacht auf Samos ein großer Teil der Mauer einstürzte, wurde von uns verlangt, die Anstrengungen zu verdoppeln, woraufhin sich meine Einstellung zum Soldatendienst zum Schlechteren hin änderte.
    Schließlich war die Arbeit jedoch abgeschlossen, und kaum war der letzte Stein unter lautem Gejohle eingepaßt worden, erhielt unsere Einheit den Befehl, die Wasserschläuche zu füllen und in die Berge hinaufzumarschieren, die auf Samos sehr hoch sind und wo es von politischen Gegnern (die samische Bezeichnung für Räuber) wimmelt, um die Steuern aus den umliegenden Dörfern einzutreiben. Wir winkten unserer Mauer, die wir nie wiedersehen sollten, zum Abschied hinterher und machten uns auf, um für unser Land zu sterben – falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte.
    Als wir einigen Samiern begegneten, versuchten sie allerdings nicht, uns zu töten; sie waren erst um die zwölf Jahre alt und recht klein für ihr Alter. Statt dessen bemühten sie sich, uns einheimische Töpferwaren und die Gesellschaft ihrer Schwestern zu verkaufen, die (wie sie uns versicherten) sehr hübsche Mädchen seien. Wir 228
    marschierten weiter, bis wir zu einem größeren Dorf gelangten – ich glaube, es hieß Astypylaia –, wo wir die ersten Steuerzahlungen einholen sollten.
    Wie in jedem anderen Gebirgsdorf gab es auch in Astypylaia unregelmäßig verteilte Häusergruppen, einen kleinen strohgedeckten Tempel und einen mit verwitterten Grenzsteinen umsäumten Marktplatz; es hätte irgendwo auf dem Berg bei Pallene oder draußen in Richtung des Hinterlands von Phyle liegen können. Es gab etwas mehr Schafe und ein bißchen weniger Ziegen, als wir es von Attika her gewohnt sind, und einige Menschen sahen nicht sehr griechisch aus, was meine Kameraden auf die Vermischung mit den Persern zurückführten, als Samos noch Teil der persischen Statthalterschaft in Ionien gewesen war. Doch obwohl sie nicht gerade freundlich waren, warfen sie immerhin keine Steine nach uns, und auf der Hauptstraße befand sich auch keine Mauer aus Schilden, wie einige von uns erwartet hatten. Statt dessen war ein alter Mann da, den wir für den Dorfsprecher hielten, und zwei gelangweilt aussehende Jungen von etwa fünfzehn Jahren, die ein paar sehr magere Schafe an kurzen Zügeln hielten. Diese Schafe waren anscheinend ein Geschenk für die geliebten athenischen Gäste, von Polychresos eigenhändig zur Zierde unserer Tische beim gemeinsamen Mahl ausgewählt. Unser Taxiarchos gab würdevoll unseren Dank zu verstehen und zog taktvolle Erkundigungen über das Steuergeld ein.
    Bei dieser Frage blickte der alte Mann sehr traurig drein, als hätten wir ihn an etwas erinnert, das er verzweifelt zu verdrängen versucht hatte.
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    »Athenische Brüder! Zu unserer ewigen Schande muß ich gestehen, daß wir das Tributgeld nicht mehr haben«, erklärte er. »Ich sage ›nicht mehr‹, denn wärt ihr gestern zu dieser Zeit hiergewesen, hätte es kein Problem gegeben.
    Aber« – er neigte den Kopf –, »verehrte Freunde, diese Berge sind wild und gesetzlos, und dort oben« – er fuchtelte mit dem Stock unbestimmt in Richtung der umliegenden Felsen – »lebt eine Bande wilder und niederträchtiger Männer, Oligarchen, die geächtet wurden, als sie vor zwei Jahren versuchten, nachts den Tempel der Hera zu erobern. Heute morgen ist bei mir eingebrochen und der gesamte Tribut gestohlen worden – zehn Minen zu je hundert Drachmen aus feinstem Silber, genau wie ihr befohlen hattet. Mein Sohn Kleagenes hier«, sagte er und schubste einen der Jungen, der verlegen auf seine Sandalenriemen starrte, »hat versucht, Widerstand zu leisten, und schaut euch an, was

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