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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Köpfen. Und drinnen zwischen den brennenden siebenarmigen silbernen Armleuchtern stieg ein rotwangiger Greis unter einem Silberkäppchen die zehn Stufen zur Bundeslade hinauf; an seinem Obergewand von Hyazinthfarbe hingen goldene Glöckchen und Granatäpfel. Fünf Gürtel hatte er sich umgetan, aus Gold Purpur Scharlach Hyazinth Byssus; auf seinen Schultern schildförmiger Schmuck aus Gold mit Steinen. Er sang, hob die Hände. Sie sangen kopfwiegend, sich verneigend, trunken mit.
    Böhmen empfing mit dumpfem staunendem Murren die Nachricht von dem Ereignis; der unersättliche verabscheute Mann stand in dem blendenden Licht des Kaiserhofes. Man wußte, er hatte schon die Baupläne zu einer Prager Zitadelle in seinem Palast; sein Name war unter den Münzkonsorten genannt, sein Regiment hatte am Weißen Berge die Unglücksschlacht mit entscheiden helfen; nun segnete den Todbringer die deutsche siegreiche Majestät. Der Böhme! Der Erzverräter! Die hoffärtige Bestie, die an Wien die Ehre verloren hatte. Wie Judas hatte er sich einnisten wollen in das Herz seines Volkes, hatte er in der Stunde der Erhebung mit teuflischer Tücke starke Truppen an sich gezogen, täuschend, um sie gegen das eigne Land zu werfen. »Da kam Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Knütteln; und der Verräter hatte ein Zeichen mit ihnen verabredet und ihnen gesagt: der ist’s, den ich küsse, den greift und führt ihn ohne Zögern ab.« Es sollte nicht soweit kommen; die Truppen verließen ihn. Mit Schimpf und Schande stand er in Wien, armselig, trug einen gestohlenen Säckel in der Hand, die Regimentskasse. Der Kaiser selbst schickte den Beutel zurück. Der Mann aber war nicht verdorben, war wie Hederich gewuchert, hatte Schandtat auf Schandtat gehäuft, erkannte nichts an als Gewalt.
    In kleinen Klubs saßen die Edlen und ihr Anhang zusammen, die Verwandten, Neffen, Söhne, Frauen derer, die von Ligisten niedergemetzelt waren oder hatten fliehen müssen. Katholisch geworden mit dem heißesten Grimm, bis in den Kern ihres Lebens vom Sieger getroffen. In hohe Ämter hatten sie sich geschoben; niemand wußte, daß zu ihnen gehörten Wratislaw von Mitrowitz, der Hauptmann der Prager Kleinseite, die Appellationsräte Wenzel von Fließenbach, Kobach, ja ein Sohn des öffentlichen Anklägers Přibík Jeníšek von Újezd. In ihrer Mitte heranwachsende Jünglinge, blühendschöne Weiber, Alte, die schon daran gewesen waren, ihr Dasein abzuschließen. Sie sangen in ihren Zusammenkünften ihre Lieder; vom Peter Chelčický sprachen sie, vom Netz des Glaubens, und daß der Staat ein Übel für den Christen sei – aber dachten nur an den Staat der Habsburger. Sie redeten den Satz nach: »Gott hat nicht widerrufen das Wort: du sollst nicht töten«, damit erhoben sie sich stolz und drohend über die grausamen Verfolgungen, die ihre Angehörigen erlitten, trösteten sich. In dieser ausgestoßenen Aristokratie blühte, angstvoll behütet, das Wunderkraut der sanften menschenbewältigenden Lehren, die im Volk umgegangen waren einstmals, von ihm selbst kaum beachtet. Wie flüsterten sie, sich an den Händen fassend, daß es den guten Christen nicht anstehe, Teil an der Macht zu haben – fühlten sich ruhiger, halfen sich über Schlimmes hinweg. Durch die Gedanken ihrer Kinder ließen sie rasseln die Märchen vom fellbewachsenen Böhmenherzog Krok und seiner geliebten Tochter Libussa; wie in ein Kinderland fanden sie – alternd, heimatlos – in die uralten Fabeln; der starke Přemysl stand auf, Wenzel tat seine Wunder. Ehrerbietig taten sie gegen die neuen Machthaber, geduldig waren sie, unbezwungen, stolz. Sie waren die Adligen, in diesem Land konnte niemand sonst von Adel sprechen.
    Über die Niedrigen suchten sie ihre Lockungen auszubreiten, die blieben stumpf und gefährlich. Ließen sich nicht Böhmen nennen, wollten nur Bauern sein, stalpten auf ihre Felder, in die Ställe, wandten sich grimmig von allem, was ihnen mit Bekenntnis und Vaterland kam; in vielen Dörfern brachen nach dem Auszug der Sachsengänger Treibjagden aus wider die aufdringlichen Hußfreunde, Totschläge an heimlichen Friedensstörern und ihren verkappten Sendboten.
    Die Edlen versammelten sich in geheimen Häusern, mit brachten sie Listen alles jüngst gegen sie geschehenen Unrechts, aller Schikanen, Bedrückungen. Dann war plötzlich eine Liturgie da: ein furchtbarer Klagegesang, ein chronikartiges Verzeichnis alles Leids in Böhmen

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