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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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seit den Tagen Rudolfs und Matthias’. Keine Versammlung begann, ohne daß wie ein Gebet dieses Verzeichnis verlesen wurde, die Morde Vernichtungen Verbrennungen, der Zug der Verbannten über das Erzgebirge. Und sie, deren Angehörigen es geschehen war, da saßen sie, standen an den Wänden – nannten sich draußen kaiserlich, hatten ihrem Huß abgeschworen. Diese die Gesichter tief gerötet, jene erblichen, verzerrt, streng gerissen. Wilde Worte wurden ausgestoßen, Tränen standen in den Augen, Stöhnen Schreien zog sich in die Unterhaltung hinein. Es würde einmal sterben die spanische Geißel, der Jesuit Ximenes; Marias Säule würde von der Teynkirche gestürzt werden; in den Boden gestampft Caraffa, der päpstliche Nuntius, der Seelenmörder. Es gab welche, die diesen Teil der Zusammenkünfte mieden, zu spät kamen, das Verlesen für eine Albernheit dekorativen Charakters nahmen; die Welt ging voran, sie wollten mit. Aber sie beirrten nicht die rache- und haßatmende Gesellschaft.
    Langsam hatte sich ihnen Slawata genähert. Er, dem edelsten Hause entstammend, dem Kaiser anhängend, den Konventikeln nachschleichend wie ein Tier seiner Beute. Sie hatten sich seiner nicht erwehren können, ratlos, wessen sich versehen von ihm. Ihn hatte Wallenstein irregemacht. Er ging einsam, seit er selbständig geworden war, neben den großen Akteuren, war ihr Stolz, ihre Standarte. Einsam wandte er sich. Es trieb ihn, er wußte nicht wie, zu seinen Vettern und Sippengenossen, in die geheimen Zirkel. Auf ihre Wege trieb es den Stillen Blauäugigen Umwölkten; wie er sich dunkel den großen Akteuren beigesellt hatte, wandte er sich den Böhmen zu. Spöttisch und traurig stand er unter ihnen, die mit ihren Gesängen und Reden verlegen schwiegen, wenn er, den vollen Kopf halblinks auf die Schulter senkend, sehr langsam sie begrüßte mit Zwinkern der Augen und tonloser Öffnung des üppigen Mundes. Es war nur eine Erkundung, was er bei ihnen vornahm; »wer seid Ihr?« war seine ungesprochene Frage. Und sie merkten, daß er mit ihnen Fühlung nehmen wollte, wußten nicht, ob sie sich offenbaren oder verleugnen sollten. Schon waren sie willens, mit Banalitäten die Zusammenkünfte auszufüllen, bei denen er anwesend war. Da näherte er sich ihnen mehr; fragte sie eines Abends, als sie sich unter Selbstpersiflage von Dingen der holden Kaiserin Eleonore unterhielten, warum sie zusammenkämen und was sie gemeinsam betrieben. Sie sagten, sie seien Freunde der kaiserlichen Regierung und wünschten die Böhmen dem Kaiser näher zu führen. Slawata blickte lange in seinen Schoß, seine ringblitzende Hand vor die Augen hebend: »Ihr wünscht, daß ich Euch allein lasse?« Darauf ratloses Gerede der Herren und Damen; er verneigte sich trübe nach einiger Zeit, ging. Sie beschlossen kühn, es darauf ankommen zu lassen; und als Slawata nach längerer Weile lautlos in eine Versammlung der Herrschaften trat, von jungen Männern geleitet, nahm keiner Notiz von ihm; man tat sich Zwang an, wagte. Die Liste der Klage wurde verlesen, das Aufschluchzen und Stöhnen begann, die Namen der Toten und Verschollenen klangen tonlos; der Vorleser bedurfte keines Winkes seines Nachbars, eines uralten Mannes, um auf den Namen Slawatas, des Bösewichts und Verderbers, zu achten; der jugendliche Vorleser sah den Namen in seiner Liste kommen, las ihn, samt der Anklage, Drohung, Hoffnung. Als beträfe es nicht ihn, stand Slawata in der nur bankbestellten kerzenhellen Stube nahe der Tür. Auch sie sprachen an sich haltend mit ihm, als wäre er nicht der Slawata, dem sie fluchten. Sie wollten ihn locken, sich zu offenbaren; er schwieg, war höflich gegen sie, kehrte wieder. Nichts geschah einem von ihnen. Sie fühlten, daß sich eine Wandlung mit ihm vollzog, fanden keine Handhabe, ihn zu sich zu ziehen. In offener Gesellschaft der Herren der Kammer ließ Slawata sogar unbekümmert das Wort fallen, daß er den und den Herrn in einem böhmischen Konventikel kennengelernt und gesprochen habe, so daß man raten konnte, ob er sich den bedenklichen Verbindungen seiner Sippengenossen zugewandt habe – er, der Slawata, den sie zum Fenster hinausgestürzt hatten – oder ob sich die Sippengenossen dem Kaiser näherten. Aber ein Blick auf ihn schien zu zeigen, daß er sich nicht geändert hatte, er nicht.
    Vom Judenviertel schlug Geschrei herüber, durch Prag liefen die unerhörten Zahlen; der Friedländer wolle hunderttausend Mann auf den Fuß bringen, er werbe Kosaken

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