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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Neuburg mußte die Konferenz rasch abbrechen, der Schreck war zu groß, gegen die Welschen hegte er ungemeinen Haß; daß der Geschäftsträger selbst kam mit einem offensichtlichen Auftrag seines jungen mutigen Souveräns, daß Frankreich die Pfalzgrafschaft Pfalz-Neuburg diplomatisch anging, warf seine Fassung über den Haufen. Im Erker, im dicht verhängten, vor einem Fäßchen Rosinen suchte er sich neben Sartorius, dem seriösen, der immer aus dem Schlaf gestört schien, zu erholen. Als sie beide ohne Haltung auf den Schemeln saßen, die Rosinenstengel in Wein hängen ließen, die nassen Beeren rissen schluckten, flüsterte entgeistert der Kanzler: »Wie soll man sich gegen ihn benehmen? Es ist keine Schreibstube da, keine Dienerschaft, keine Geschenke; es fehlt an allem.«
    »Ich kann nicht meinen ganzen Säckel hergeben für –«, schrie der Pfalzgraf, Körner spuckend, die Stengel zertretend; »es wächst mir über den Kopf.« Sartorius stimmte bei; es sei entsetzlich.
    »Wollen wir weg?«
    »Wollen wir nicht fliehen?« in einem Atem fast mit seinem Kanzler der Fürst, »wir können nicht wissen, was sich aus diesen Dingen entwickelt. Das Beispiel des Heidelberger Friedrich ist nah genug, nah genug. Die Prager Schlacht hat gewirkt. Bei mir braucht es keine Prager Schlacht. Ich strecke meine Hände nicht nach fremdem Gut aus; ich insurgiere nicht.« Er knirschte mit den Zähnen: »Wenn sie mich stürzen wollen, als Geächteten, bei mir geht es leichter. Mir dreht man als altem Hahn den Hals um.«
    Er dürfe nicht mehr empfangen werden, bestimmte der Kanzler.
    »Es geht schwer, es geht schwer«, ächzte der Fürst, »wir wohnen zu dicht beisammen, er beobachtet mich. Sind die Läden geschlossen? Laßt die Roßknechte nicht heraus, meine Sänfte soll immer im Haus bleiben, die Pferde –.« Gebrochen lehnte er sich zurück: »Ich weiß, wir können uns nicht wehren.«
    Und wie er mit geschlossenen Augen auf dem Schemel hing, stieg in dem Kanzler, der die Becher beiseite schob, die Furcht auf, er möchte wieder ermüden wie auf der Reise nach München und ihm alles überlassen.
    Der Fürst winselte: »Es müssen Leute geholt werden, gelehrte, man muß sie zusammentrommeln, einen Staatsrat, man muß sich ordnungsmäßig konstituieren, beraten. Ich kann sonst nicht.« Er hatte trockene Lippen, blickte erschöpft: »Wir müssen ihm das sagen. Ich habe meine Minister nicht da, nicht vollzählig da, ich kann nicht ohne sie beschließen; es widerstrebt mir, es ist nicht Tradition in Neuburg.«
    »Und Ihr«, giftig fuhr er dem Kanzler vor das sich hochstreckende Gesicht, »seid nicht mein Minister. Ihr seid mein Geheimschreiber. Nichts weiter.« Der verneigte sich: »Ich werde es ihm sagen.«
    Philipp Ludwig raufte sich auf dem Gange die weißen Schläfenhaare: »Wien! Wien! Die Prager Schlacht!«
    »Durchlaucht«, klopfte nach einer Weile Sartorius an seiner Schlafkammer an, »in Neuburg sind die Kirschen und Johannisbeeren reif; die Stachelbeeren auch. Mit den Erdbeeren wird’s bald vorbei sein. Es ist noch Zeit. Der Pommernherzog schickt bald seinen Künstler mit den Auslagen.«
    Den nächsten Besuch des weichen edlen Seigneurs trübte das starke Mißtrauen, das der Fürst an den Tag legte; kaum sprach er; sein Geheimschreiber neben ihm machte bei der Audienz Notizen auf der Schreibtafel. Marcheville wies dem mürrisch ungeduldig zu Boden starrenden Herrn dieselben Gründe vor, die von ihm selbst in den vier Neuburger Denkschriften niedergelegt waren, die Ansprüche Neuburgs auf die Kurwürde und pfälzisches Land, gestützt auf die Verwandtschaft mit dem letzten Kurinhaber, auf die Mitbelehnung, die Goldene Bulle, Hausgesetze, gültigen Reichsgesetze. Der Sehr Christliche König wolle nicht versäumen, erklärte der Geschäftsträger, die geöffneten Hände mit tiefer Verneigung nach hinten schwenkend, sich rechtzeitig der Gunst des neuen Kurfürsten zu versichern.
    Neuburg, obwohl äußerlich in Haltung, ruhig mit dem eingeladenen Fremden bei einer kleinen Vormahlzeit, war bis zum Erliegen erschüttert. So sicher hatte er selbst seine Sache nicht gehalten. So also lagen die Dinge. O verruchte Welt. Der Herzog in Bayern weiß, wie es steht; er schweigt. Der Kaiser weiß, wie es steht, schweigt; der Abt Antonius von Kremsmünster. Er, der alte Neuburger, der treu zum Reich gehalten hatte in jedem Augenblick, der kein Unrecht getan hatte sein langes Leben, sollte bei evangelischem Glauben vom jesuitisch beratenen

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