Wallenstein (German Edition)
abgemagerte Bäuchlein, die weißhaarige fette Brust, über dem schlaffhäutigen faltenreichen Hals das kleine dünne Köpflein. Vergraust lag Philipp Ludwig in seinem Bett; während man ihm zusprach, es sei auf ein hohes Lösegeld abgesehen gewesen, blieb er dabei, sie hätten ihn umbringen wollen; das alte furchtbare Weib hätte fast stündlich gesagt, er würde geschlachtet werden, er solle seine Seele darauf vorbereiten, sie warteten nur auf den Lohn für die Tat. Der Kanzler saß von Angst geschüttelt neben dem Bett, bebend, wie ihn die hochfürstlichen Söhne empfangen würden, wenn er ohne des Pfalzgrafen Durchlaucht zurückkehren würde. Nicht eine Woche war um, da fuhr der Neuburger wieder ab; den Kanzler ließ er auf Drängen Marchevilles zur Vertretung seiner Rechte zurück.
Und während der Fürst im sonnigen Neuburg herummarschierte, kein Ende fand des Kommandierens Schreiens Verwirrens in Gesprächen mit seinen Söhnen Bedienten, durchgreifende Organisationen des Steuer- und Heerwesens verfügte, widerrief, wurde der knickbeinige Kanzler in Wien herumgejagt von Marcheville, spöttisch, neckisch wieder fallengelassen, wie es die Situation gerade mit sich brachte. Nach Neuburg lief eines Tages ein Kurier mit dem Bescheid der Hofkammer, daß sie Kenntnis genommen habe von seiner Denkschrift, ihn seinerzeit über den Lauf der Angelegenheit orientieren werde, eine Erklärung, die der wieder abgemattete Philipp Ludwig aufatmend empfing und den Befehl an Sartorius abgehen ließ, sofort zurückzukehren; er schrieb ihm eigenhändig ein Brieflein: »Nun mag es weitergehen. Kommt nach Hause. Ich habe meine Hand im Spiel und ziehe sie nicht wieder heraus.«
UND IN der Tat: noch lange nach seiner Abreise wirkte sein kurzer Besuch in Wien. Seine sonderbaren drohenden, offenbar tief informierten Denkschriften konnten nicht anders erklärt werden als unter bestimmten fatalen Voraussetzungen. Kremsmünsters Kopf war geschwollen, er ließ sich für keinen der fremden Geschäftsträger und Gesandten sprechen, Eggenberg hatte die Taktik, alles abzulehnen und sich gänzlich ahnungslos zu zeigen; es liefen Anfragen über Anfragen ein aus den Kanzleien mehrerer Kurfürsten betreffend die Neuburger Denkschrift. Noch war nach auswärts nicht verlautet der Überfall auf diesen geheimnisvollen Kurprätendenten, der Spanier war schamlos genug zu insinuieren: wenn nicht Bayern ein Interesse an dem Verschwinden des Pfalzgrafen hätte, so vielleicht die kaiserliche Hofkammer; man wolle die Geheimabmachungen des Wiener Hofes mit dem Herzog Maximilian nicht zu früh preisgeben, man hätte sich resolut entschlossen, aber es sei anders verlaufen.
In dieses aufgeregte, sich selbst steigernde Ungewiß platzte ein Büchlein hinein, das, von Norden verbreitet, frommen überaus angesehenen Damen zur Kenntnis gelangte. Fast zu gleicher Zeit, wie in Dresden am protestantischen Hofe des Kurfürsten Johann Georg dieses Büchlein gelesen wurde unter Kopfschütteln Geschrei, übergab es in Wien bei der Garderobe der würdigen frommen Stifterin Gräfin Polyxena von Muschingen ihre Kammerzofe. Dieses schöne unbedeutende Kind hatte es von einem eben gewonnenen Liebhaber, einem reichen jungen Herrn nebst einem ansehnlichen Douceur erhalten; der junge Herr, der ihr so angenehm zu Gemüte sprach, war kein Kavalier, aber Vorreiter bei Seiner Exzellenz, dem Marquis Marcheville, der sich in der Stadt verlustierte. Der Vorreiter sagte dem lieblichen Hernalser Geschöpf, dies sei ein frommes Buch; sie würde vielleicht ihrer Herrin eine große Freude bereiten, wenn sie es ihr übergebe; sie möchte sich auch etwas daraus vorlesen lassen, es würden ihr manche Gnaden dadurch zuteil werden. Zu ihrem Entzücken sah auch das Mädchen, daß wirklich die Gräfin – die erst gelacht hatte, als sie ihr schämig das Buch übergab, mit der Bemerkung, es hätte auf ihrer Schwelle gelegen, ob es wohl ein Gebetbuch sei oder einen Ablaß ankündige –, daß die Gräfin freudig erst allein, dann mit ihrem Hauskaplan das Büchlein durchlas. Sie blieb aber dabei, es hätte vor ihrer Kammertür gelegen, als man ihr noch einmal zusetzte, und wurde dann beschützend gegen die ernsten Worte des Kaplans sanft von der Gräfin gestreichelt. Frau Polyxena von Muschingen lag zu dieser Zeit nichts so sehr am Herzen, als von Rom ein Breve zu erlangen zur Gründung eines Klosters für den Orden der unbeschuhten Karmeliterinnen. Sie stand in einer langwierigen Korrespondenz mit
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