Wallenstein (German Edition)
Kaiser noch, bevor er in die Grube fuhr, grob übertölpelt werden. Würde der Marcheville sich zu ihm begeben, ihm geradezu auflauern, wenn dieser schlaue Franzose sich nicht rechtzeitig in seine Gunst setzen wollte? Eine Stimme gegen Habsburg wollte er gewinnen, verhindern, daß der Sohn Ferdinands deutscher König würde: darauf kam es dem an. Von Wien, ja von der Burg her schwieg man; von da hatte sich noch kein Fuß in die Herrengasse bewegt. Dabei jagten die Kuriere durch die Straßen, Musik schallte aus der Burg; Kämmerer Ausläufer in jeder Gasse, aber keiner zu ihm.
Marcheville wurde hochmütig durch einen Kammerdiener bedeutet, Besuche bei des Pfalzgrafen von Pfalz-Neuburg Philipp Ludwig Durchlaucht einige Tage zuvor seiner Kanzlei anzumelden. Und als der Gesandte erschien, ließ Philipp Ludwig sich verleugnen; ein würdiger Empfang wurde ihm bereitet in einer großen Kammer der Herberge, wo er sich auf eine gepolsterte Bank setzen mußte vor vier gemieteten Herren, zwei albernen Magistern und zwei schäbigen Theologiebeflissenen; den federkratzenden Herren erklärte er freundlich, bald wiederzukommen. Er durchschaute die Sache, erklärte dem Kanzler, er werde zur Aushaltung der Kanzlei selbst beitragen, bot auch, entsetzt über die Formlosigkeit des Auftretens seines Prätendenten, diesem ohne weiteres einige tausend Taler an, die der Pfalzgraf als Ehrengabe annahm, ohne darauf aber im mindesten Haushaltung, Kleidung besser auszustatten. Weitere tausend Taler, dem Kanzler zugesteckt, führten zum Ziel; mehrere vierspännige Wagen standen zur Verfügung, eine kleine Dienerschaft warf sich in Neuburgische Livree. Und wie ein wütendes, noch lichtscheues Tier erschien der Pfalzgraf, in galoniertem Samt und Zobelpelz, auf allen Ämtern, sprach bei den Mitgliedern des Geheimen Rates, der Hofkammer persönlich vor, hinterließ Denkschriften, die unter französischer Obhut ausgearbeitet waren, Denkschriften an alle Kurfürsten katholischer und protestantischer wie calvinischer Religion, insbesondere an den von Mainz, als des Reiches Kanzler, und abgegeben bei dem Türhüter des Reichshofrats für dieses oberste Reichsjustiztribunal, die Person des Kaisers selbst vorstellend. Die Mitglieder ihrer Adels- und Doktorenbank beging Sartorius.
Die es lasen, der Abt von Kremsmünster, dann Doktor Wolfrath als Präsident der Hofkammer, die Herren vom Geheimen Rat Eggenberg Trautmannsdorf Breuner, waren verblüfft über den Protest, der doch wohl eine offene Tür einrannte, besonders über seinen pointierten Schluß: es dürfe keinesfalls der Kurhut ohne Achtung der Neuburgischen Ansprüche, ohne ihre Prüfung vergabt werden; gegen jegliche etwa schon geschehene Entscheidung lege er feierlich Rechtsverwahrung ein; nur ein Deputationstag unter Zuziehung aller Kurfürsten könne hier das Recht finden.
Die Denkschrift war teils absurd lächerlich, teils verwirrend; für den Abt Anton, der sie scharf verbarg vor dem zudringlichen Spion des bayrischen Herzogs, dem Jesaias Leuker, war sie qualvoll.
Da geschah es, daß eine zunächst unbekannte interessierte Partei einen Schritt tat, um sich des lästigen, noch nicht sehr auffälligen Mannes zu entledigen. Sie gedachte ihn verunglükken zu lassen. Von dem Führer seiner Roßbahre irregeführt – ungewiß, ob mit Absicht oder zufällig –, geriet der Fürst, nur von einem welschen Agenten begleitet, in das Gewirr jener ärmlichen Gassen, die sich im Süden der Stadt nahe den Toren hinziehen und die Unterschlupforte den Bettlern und ihren Familien bieten. Unter diese, vor einem Wunderhof, trat der Bahrenführer, nach dem Weg fragend. Zwei Kamesiere – abgedankte sündhafte Scholaren – hielten das vordere Roß fest, wollten sprechen, da machte einer von ihnen, anscheinend vom Roß geängstigt, einen Satz, stieß aus den Umstehenden einen Mann um, der sogleich einen Krampfanfall erlitt, die Backen aufblies, schäumte, so gut es ein geübter Gauner kann, der über ein Stück Seife im Mund verfügt. Eine Frau, die blaß beiseite gestanden hatte, hielt den Krampfenden bei den Händen, schrie um ihren Mann, wandte sich an die andern, verlangte eine Entschädigung. Sie schickte die Bahre samt dem Franzosen weg, den alten Fürsten führten sie auf den Hof, sprachen ihm freundlich zu. Am nächsten Tage durchsuchten Soldaten der Stadtgarde die Gasse ohne Erfolg; ein Bettler, der sich als Zechenmeister ausgab, führte sie. Dem französischen Geschäftsträger, dem feinen
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