Wallenstein (German Edition)
flüchtigen Rest massakrieren.
Da hatte sich der mordgewaffnete König aus seinem Mainzer Lager erhoben, ließ den Rhein los. Hinter ihm blieben ein junger Herzog Bernhard von Weimar und ein Pfalzgraf von Birkenfeld.
Und wie der Schwede anschnob, wich Tilly erzitternd aus Bamberg, wich die geschwollene Regnitz entlang, durch das Ansbachische, an Nördlingen vorbei auf Donauwörth. Wollte sich hinter die Donau verstecken.
Der Tritt des Schwedenkönigs tapprig schwer hinter ihm, langsam. Rechts schlürfte er, links fraß er; er kaute, spie, schnüffelte. Er legte sich über Nürnberg; der hohe Rat wischte eingezogenen Schweifs zu ihm heraus vor das Tor, goldene Trinkgefäße auf den kalten Händen tragend. Sie kreischten und pfiffen: »Der Makkabäer!« »Gideon!« »Josua.« Er rollte die Augen und ließ es sich, da es ihn kitzelte, wohlgefallen.
»Es war ein schöner Winter dies Jahr«, gönnte er den Ratsherren, »gebe Gott, daß auch der Sommer gut wird. Ich predige euch das Evangelium auf eine Weise, wie ihr nicht wieder hören werdet.« Er setzte die Beine vorwärts, Staub und Dampf von sich gebend: »Seid fromm, daß Gott weiter hilft.« Hinter sich ließ er die Besatzung. Hunderttausend Taler stopften sie ihm bei, wie er wanderte.
In Donauwörth konnte Tilly nicht bleiben; der Kurfürst warf Boten nach Boten gegen ihn: wie weit er denn fliehen wolle, wie weit noch München entfernt sei. »Ich will schon nicht mehr fliehen, als ich muß«, knirschte die Augen verdrehend der kleine General, das Papier in den Händen zerreibend, »ich will mich schon stellen. Nur Ruhe, Ruhe.«
Aber der Schwede plumpte, murrte, knurrte, trampste näher. »Ich will stehenbleiben.« Und zitternd in einem unsäglichen Hinschmelzen gab er schon wieder den Befehl nach rückwärts. Hinter die Donau, über die Lechbrücken. Schwindlig, den Mund weit offen, stand er da auf den Stoppelfeldern, Bayern lag in seinem Rücken. Schwindlig mit verwehenden Gedanken sagte er, lächelte er, die Zähne kaum entblößend, zu seinen Offizieren: »Wir werden hier nicht weggehen. Der Schwede kommt heran. Wir werden Bayern schützen.«
Es wurde befohlen, auf Ingolstadt Truppen zur Verteidigung zu werfen, die Zugangsstraßen von Augsburg und Ingolstadt mit vierzehn Kompagnien zu sperren. Dann lagerte das Heer sich hinter dem Lech in einem dichten Wald. Und wie Tilly das rückwärtige Terrain besichtigte, stoben Alarmreiter an, Alarmreiter, Alarmreiter. Flüchtende Bauern. Flüchtende Bauern. Auf Wagenreihen Dörfer, Dörfer, ganze Dörfer. Als hätte der Schwede sie entwurzelt, warf sie ein Orkan mit Sack und Pack vor sich. Tag und Nacht, Tag und Nacht. Es regnete Städte.
Der geborstene Tilly hielt sich steif. Lief, ein schallendes Knochengestell, flach mit Muskeln Sehnen Nerven gepolstert; der Bauch, die Brust, der Schädel breit geöffnet. Hervorquoll seine blutbegossene Seele selbst. Geschrei, Kreischen, Brüllen, Knirschen, Knurren, dünnes Piepsen umging ihn. Seine Gedanken schlugen wie überlange nasse Haare über sein Gesicht, über Stirn und Augen, blendeten ihn.
Er lächelte süß, in bewußtloser Hingerissenheit, hin und her dunkel flutender, sich hebender Verzweiflung. Er betete und erreichte sich nicht. Er war ein Mensch, den man mit Pech bestreicht und in Federn wälzt; ganz hinter seinen Taten verschwunden. Keine Gedanken an Wallenstein hatte er mehr. Er suchte zu umdenken sein Leben, seine Oberkommandantin Maria, mit der er jeden Tag seines Lebens angefangen hatte; knickte zusammen. »Ich bin ein frommer Katholik gewesen all meine Zeit«, winselte er vor seinem Feldkaplan, der verwundert vor ihm stand, ihm tönend zusprach.
Als die ersten Kanonenschüsse fielen, sauste er auf den Feldern herum, suchte von irgendwoher zu hören, ob er sich nicht doch noch auf Ingolstadt zurückziehen sollte. Fürchtete sich, fürchtete sich: begriff mit einmal, daß er sich fürchtete. »Ich bin ein alter Mann, habe keine Messe versäumt«, zuckte es staunend in ihm.
Zweiundsiebzig Geschütze ließ Gustav auffahren gegen den Wald, in dem die Kaiserlichen lagen. Unter grausem Krachen und Prasseln barsten die Stämme. Als die Feinde eine Insel bei Oberndorf fanden, die schrecklichen Finnen, schwammen sie Trupp auf Trupp wie Wasserratten an. Man schlug einige tot, es kamen neue. Schwedische Kanonen fuhren über einer Brücke auf, die niemand über Nacht hatte entstehen sehen. Ein heulender zähnefletschender lehmwühlender Kampf halb im Wasser, halb
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