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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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auf der Erde fing an. Die Schweden Finnen, es waren keine Menschen. Kaum gab es Tiere, die ihnen glichen, wie sie schlammbedeckt, graubraune Hautfarbe, tangtriefend, armschwenkend sich aus dem Wasser erhoben, krumm anwateten, schluckten, knauten, spritzten, pfiffen. Sie waren so schlecht, so ekel, so totschlagwürdig, daß erst zaghaft die Kaiserlichen, die Bauern auf sie eindrangen, geführt, gelockt, dann von dem Grimm und der Scham, dem Entsetzen gerufen geworfen: »Um des Heilands willen.«
    Sie schrien zu Hunderten und Tausenden, die Kaiserlichen, auf dem überhöhten Ufer des Lechs, als sie das beispiellose kotige regsame Grauen aus dem Wasser auf sich zukommen sahen. Es gab wenige unter ihnen, die nicht in diesen Augenblikken die blinde Entschlossenheit angewandelt hätte, zu sterben oder diese Unwesen sich aus dem Gedächtnis zu wischen. Sie drangen herab auf die Fratzen.
    Mörderisch tobten die Kanonen in ihrem Rücken; Sprengen Klatschen Reißen von stöhnender unterirdischer Gewalt. Aber Tilly auf seinem hochbeinig tanzenden Schimmel irrte zwischen den Fremden und den Kanonen hin und her; träumte, ohne zu wissen was, lachte, wimmerte. Die Fragen seiner Offiziere beantwortete er nicht. Seine bis zur Weiße aufgerissenen Augen wurden immer wieder von den silbernen brabantischen Aufschlägen angezogen an seinem eigenen linken Ärmel. Um diese Aufschläge war ein Geheimnis. Bei jedem Kanonenschuß zuckte er zusammen, duckte sich, sah um sich. Das Wort »Maria« mahlte er zwischen den Zähnen, während seine Augen suchten auf dieser Holzbrücke, in dem plantschenden Wasser. Wie an einem vom Himmel herabhängenden Faden zog sich seine Sehnsucht und Ratlosigkeit in die dünne Höhe. Ein Dreipfünder, dessen Abschuß er nicht einmal gehört hatte, warf seinen Schimmel um, zerschmetterte ihm selbst den rechten Schenkel über dem Knie. Er dachte und träumte lange nichts.
    Aus der bodenlosen Schwärze tauchte er auf; es schneite. Abend, ein Troßwagen, wühlender Schmerz im Bein. Wagenknarren, Getümmel um ihn. Im Stroh neben ihm hockend der Feldscher. Tonlos auf durchbluteten Wolldecken der General: was sei, wo man sei. Bei Ingolstadt; der Widersacher habe versucht, sie von Bayern abzuschneiden, es sei mißlungen, der König selber hätte beinah sein Leben dabei gelassen.
    »Was, was!« Tilly, der Totenkopf, furchtbar erregt, »abschneiden, was ist!« Und dann ächzte er, ließ seine Offiziere kommen, die in der Nähe ritten. Sie krochen einzeln herein, wiederholten ihm, der halb taub schien, dutzend Male die Ereignisse. Er rieb sich die Nase, die Stirn, fragte ängstlich von neuem, stöhnte: »Regensburg! Regensburg!«, faßte sie bei den Händen, bittend. Dann erst bemerkte er die lähmungsartige Schwere, diese sonderbare dumpfe, in allen Gelenken, tief in den Knochen, in die Därme, Lunge, die Schultern aufsteigend; die Dürre in seinem Mund.
    Der Kaplan kauerte neben dem Feldscher. Der Wagen ratterte über die Chausseelöcher, oft legte er sich schief auf die Seite. Aus der bodenlosen Schwärze wieder auftauchend, langsam, nicht ganz entlassen: »Der Kaplan! Ah, Regensburg, das Heer auf Regensburg führen.« Der Kaplan. Dies waren die Sterbesakramente. Jetzt daran festhalten, fest einbeißen. Maria, der Himmel, die Heiligen; das waren nur leere Worte, man konnte sie sprechen, sie ließen sich nicht denken. Das Bohren, Sägen, Drehen im Bein, das wogende Unbehagen den Leib hinauf, die alles überflutende zurückebbende wieder anschwemmende Lähmung, diese verdunkelnde knochenfüllende knochenzerknackende wirbelverschiebende tödliche Lähmung. Jetzt hieß es sich entscheiden. Aus dem Wege alles. Maria, Jesus. Er spie, rollte die Augen; hier ist nicht die Rede vom Schweden. Der Kaplan hielt seine Hände; Tilly bat, ihm Maria zuzurufen, wenn ihm das Bewußtsein schwinden wolle. Scharf blies der Schneestaub in den Wagen. Er weinte in sich: »Ich habe mein ganzes Leben Maria gedient, ich will sie jetzt halten, ich darf sie nicht verlieren. Der Kaplan hat mir Absolution erteilt, es wird alles gut.«
    Die Wellen der Lähmung und Verdunklung rollten stürmischer an, mit kaltem Schmerz gemischt. Alle Glieder fielen von ihm ab. Und er fing an zu ringen. Zwischen jeder Welle schrie er: »Maria!« Der Kaplan im Wechselruf: »Maria!«
    Schlagartig rollte es heran. Aus gelben grasgrünen braunen Wolken fuhren die Stöße gegen Bein und Leib. Sie knatterten zwischen die Schulterblätter in den Hals. Die Wolken waren widrig,

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