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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Stunde, einen halben Tag, einen gräßlichen höllensiedenden langen Tag. Ich – habe – sein – Gesicht gesehen, Jesu, des Gesalbten, Gesicht –.« Er zeigte flüsternd, die Augen aufreißend, an der halbfinsteren Hinterwand der braunen Höhle einen lose herausragenden Wurzelstock: »Hier ist eine Wurzel; faß sie an, hier. Du kannst sie sehen, wenn deine Augen sich gewöhnt haben. Es ist dunkel hier. Ich bin Einsiedler und brauche die bunten Farben nicht. Hier ist es gewesen, eines hellen Tages, als die Sonne auf den Getreidefeldern lag, als ich ahnungslos hier eintrat. Das heitere Zirpen der Meisen. Da war er da.« Er faßte wild ächzend die Wurzel an, um sie hingen Stricke und Kettchen, und ohne sich um den Gast zu kümmern, wie gezwungen, entblößte er Brust und Arm; kraterförmig tiefe Geschwürsflächen unter dem Hals, über der halben Brust; er fing an, sich zu schlagen, die Arme vor der Brust verschränkend, rechts herüber, links herüber peitschend, saß bald in der völligen Finsternis der Höhle, schob sich, stürmisch gegen sich arbeitend, immer weiter zurück.
    Nach einer Weile hörten die Schläge auf, er rutschte mit geschlossenen Augen neben Ferdinand. Blut quoll an den Schultern aus dem groben Hemd, er saß still und keuchend neben ihm. Dann: »Hörst du mich?« »Ja.« »Ich will dir erzählen, Bruder. In einem Sonnenfleck da über der Wurzel. Bleib hier, du brauchst dich nicht fürchten.« »Ich fürchte mich doch«, flüsterte Ferdinand. »Nein, du brauchst dich nicht fürchten. Ich erzähle dir ja nur. Gib mir deine Hand. Er ist ja jetzt nicht da. Er war hier in der Höhle. Es war so hell; meine Augen waren noch geblendet von dem Sonnenschein draußen, wie ich mich bückte, um hereinzukommen. Da bemerkte ich ein Loch in dem kleinen Lichtfleck, eine Höhlung, eine Vertiefung, als wäre Erde aus der Wand herausgefallen oder hätte ein Tier von innen gewühlt. Ich sehe drauf hin, das Licht geht nicht weg, warum rollt der Sand von der Wand, um das Loch herum, da bewegt sich etwas. Ich halte es für ein Tier, ein langfüßiges schwarzes, vielleicht eine Riesenspinne; es läuft so über das Licht. Das Rieseln und Zittern läßt nicht nach, der ganze Kreis, es kommt mir vor, weißt du, Bruder, als ob er sich hebt, als ob es eine Metallscheibe ist, die sich beult. Ich traute mich nicht, den Kopf zu bewegen. Mit einmal, als wenn mir die Augen herausgerissen würden, erkannte ich – sein Gesicht.« »Wessen.« »Seins, Bruder. Nicht doch. Du verstehst mich. Es war so dunkel mit Haaren, Ohren, Augen, Kinn in der Helligkeit; die dünnen schwarzen Wangen zitterten ihm, als wenn er fröre oder verhindert würde, den Mund zu öffnen oder die Lider hochzuziehen.« »Bruder, wessen Gesicht hast du gesehen.« »Und dann lief etwas Schreckliches um seinen Mund. Ich kann es nicht mehr sehen; ich kann seitdem diese Stelle nicht verlassen. Es ist kein Schwur, den ich getan habe, es ist – daß ich an diesen Ort genagelt bin. Ich möchte mich hängen an die Wurzel, nur um zu leiden, zu leiden.«
    Seine Haare hatten sich gesträubt, ihm strömten die Tränen aus Augen und Nase: »Bruder, du bist mir nicht gram, du wirst mich nicht verachten, weil ich gottlos bin. Ich leide, ich stranguliere mich, ich lege mich zum Rösten in die Sonne, um zu vergessen. Um ihn zu vergessen. Den da.« Entgeistert wackelte der Braunbärtige auf seinem Platz, er bibberte, stotterte: »Oder mich vor ihn werfen; wenn mich nur einer zerreißen wollte.«
    Ferdinand zitterte wie er: »Es war Christus.« »Er hat Satan gesehen, ich ahne ihn nur; ich sehe die Welt, rieche ihre Verwesung – aber er kannte auch die Menschen, die Seelen. Der hat sich für uns geopfert. Er wußte, daß uns nichts überzeugen könnte als sein schmerzensreicher gräßlicher Tod. Christus Jesus hat sich verstellt für uns. Für dich und mich. Die größte Seele, er hat sich in die Waagschale werfen müssen.« »Gegen den Satan.« »Es hat ihn an den Satan herangetrieben, alle Freiheit, alle Selbständigkeit, die Lust des Lebens hat er von sich hingeworfen. Ihn wollte er von uns verscheuchen, von Mensch und Getier. Und –.« »Was ist.« »Du weißt ja allein weiter, Bruder, was ist.« Er durchbohrte mit den Blicken den Kaiser, schrie: »Es hat nichts genutzt. Der Satan wiegt schwerer. Nicht einmal sein Andenken ist aufbewahrt, man weiß nichts mehr von ihm. Man weiß nichts mehr von ihm. Die Kirche hat ihn verschlungen.« Ferdinand hielt sich die Hände vor

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