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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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die Aufseherin in ihrem Glaskäfig erstaunlich schnell auf die
Füße kommen, und noch bevor Don reagieren konnte, riss sie die Zeilen des
langen Gedichts an sich, die der Drucker ausgespuckt hatte.
    »Jetzt
glaube ich aber, dass Sie gehen müssen«, ermahnte ihn die Aufseherin.
    Dann
begann sie auf dem obersten Blatt zu lesen. »Sie sind ja krank.«
    Ihre
Äußerung klang wie eine Feststellung, und Don konnte nicht anders, als zu
nicken. Dann schwang er sich mit einem Seufzer seine Tasche über die Schulter
und schloss die Website. Er sah, wie sich die Aufseherin auf seinen
Arbeitsplatz zubewegte, doch genau in dem Moment, in dem sie sich über ihn
beugte, um ihn zu zwingen sich auszuloggen, kam ihm eine zündende Idee.
    »Sie
müssen mich noch einen letzten Namen kontrollieren lassen.«
    Er ging
davon aus, dass sie versuchen würde, ihn daran zu hindern, doch stattdessen
machte die Aufseherin nervös einen Schritt zurück. Jetzt, wo er die Website
geschlossen hatte, leuchtete lediglich das Logo von »Casualty database« auf
dem Bildschirm auf. Don klickte auf »Casualties from the Belgian army«. Gab den
Namen ins Suchfeld ein und klickte auf Search.
    Kein
Resultat.
    Die
Aufseherin hatte sich wieder gesammelt:
    »Jetzt
muss ich Sie aber wirklich bitten ...«
    Don
zögerte einen Augenblick, doch dann klickte er stattdessen auf »Casualties from
the French army«. Tippte erneut den Namen ein. Hatte er ihn richtig
buchstabiert? Ja. Und drückte auf Search.
    Rechtsanwältin
Eva Strand stand vor einer Glasvitrine, in der man Wachsfiguren in
französischen Uniformen betrachten konnte, die unter einer gräulichgrünen
qualmenden Rauchwolke lagen und sich wanden. Eine der Figuren hatte die Finger
um den eigenen Hals geklammert, als bekäme sie keine Luft. Neben dem Mund einer
anderen befand sich eine rotglänzende Pfütze, um zu zeigen, dass das Kampfgas
blutiges Erbrechen verursachte.
    Eva schien
nicht zu hören, dass er gekommen war, obwohl Don jetzt direkt hinter ihr stand.
Es war erstaunlich, denn er schnaufte und keuchte, nachdem er durch all die
dunklen Säle des Museums gehastet war.
    Schließlich
musste sie doch mitbekommen haben, dass er da war, denn Eva begann zu sprechen,
ohne ihn anzusehen:
    »Als sie
das Gas einatmeten, wurden Kehle und Lungen unmittelbar verätzt. Die wenigen
Franzosen, die es geschafft hatten, weiterzuatmen, starben kurz darauf, als
sich ihre Lungen mit Eiter und Blut füllten. Es ist ein Todeskampf wie bei
Ertrinkenden, obwohl man weiß, dass die Luft um einen herum mit Sauerstoff
angereichert ist.«
    »Eva«,
begann Don, konnte sie jedoch nicht von dieser grotesken Szene losreißen.
    »Die
Giftgasattacke bei Gravenstafel war ein Verbrechen gegen jedes Kriegsgesetz«,
fuhr sie tonlos fort. »Die französischen Soldaten wussten nicht, was sich dort
auf sie zu bewegte, als sie in ihren Schützengräben harrend dalagen. Das
Einzige, was sie in einiger Entfernung auf Höhe der deutschen Stellungen
sahen, war eine grüne Rauchwolke, die langsam jegliches Licht vom Himmel
verbannte. Sie wuchs bis zu einer Höhe von dreißig Metern und begann dann
sachte, mit dem Wind auf sie zuzutreiben. Als die Wolke über ihren Gräben
schwebte, sank der ölige Rauch hinunter. Er war schwerer als Luft und rann über
ihre Gesichter, und nach ein paar Minuten konnte keiner mehr etwas sehen. Das
Gas fraß sich in ihre Augen, und als sie verzweifelt versuchten, über die Erdwälle
zu kriechen, wurden sie von den Salven der Maschinengewehre niedergemäht.«
    »Eva ...«,
versuchte Don es noch einmal.
    »Es war
das erste Mal, dass man an der Westfront Gas einsetzte. Gegen die Russen hatten
die Deutschen einige Wochen zuvor probehalber Artilleriegranaten mit Bromid
eingesetzt. Woraufhin man das Ganze natürlich weiterentwickelte, sehr viel
weiter, mit Phosgen, Lewisit und Sarin.«
    Don zog
sie am Arm, doch die Rechtsanwältin schüttelte ihn ab und deutete auf die
kleine Infotafel, die auf Kniehöhe angebracht war.
    »Um fünf
Uhr nachmittags«, las sie, »lässt man 170 Tonnen Gas aus 5700 Metallzylindern
entweichen. 6000 Franzosen sterben oder liegen im Sterben, und endlich tut sich
ein Riss in der Front auf. Doch die Deutschen waren angesichts des Ausgangs
ihres Experiments dermaßen schockiert, dass sie niemals wieder das komplette
Potenzial des Gases ausgenutzt haben. Sie ...«
    »Jetzt
reicht es, Eva«, sagte Don und ergriff ihre Schulter.
    In der
anderen Hand hielt er die Kopie, die er der Aufseherin noch aus

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