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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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jeglichen
Enthusiasmus aus ihm herausgespült.
    »Dann
haben wir auf jeden Fall einen Versuch unternommen, mit der Postkarte so weit
wie möglich zu kommen, oder?«
    »Wenn es
der richtige Malraux ist, der dort liegt, dann wird er auch noch in seinem Grab
liegen, wenn das Wetter wieder besser ist und ...«
    Doch Don
sah, wie Eva bereits ihren Arm gehoben hatte und in Richtung der Schlange mit
wartenden Taxis auf dem Grote Markt winkte.
     
    Aus dem
erleuchteten Fahrerraum des ersten Wagens kam überhaupt keine Reaktion. Der
Fahrer war in eine Zeitung versunken, die über dem Lenkrad ausgebreitet lag.
Das nächste Taxi war dunkel und unbesetzt, während das dritte in der Reihe
seine Scheinwerfer hinter einer zerbrochenen Einfassung kurz aufblinken ließ.
Doch als das Paar unter dem Gewölbe sich nicht sofort in die Sturzfluten
hinausbewegte, folgte dem kurzen Blinksignal ein verärgertes Hupen.
    Eva
ergriff Dons Arm und zog ihn im Regen über den Platz. Und obwohl er so schnell
er konnte über die Pfützen hinwegsprang, war sein Hemd unter dem Jackett
bereits durchnässt, als er sich endlich auf den Rücksitz des elfenbeinfarbenen
Taxis rettete.
    Im
Rückspiegel blickte ihn ein mit Leberflecken übersätes Gesicht aus
blutunterlaufenen Augen an. Die Hand, die auf dem Schaltknüppel lag, war
bedeckt mit bläulich verwaschenen Tattoos, und erst als Eva die Tür auf ihrer
Seite zugezogen hatte, bemerkten sie den Schnapsgeruch im Taxi.
    »La
necropole Saint Charles de Potyze«, murmelte Don resigniert.
    Nachdem er
die Adresse einige Male auf Englisch wiederholt hatte, schien der Fahrer
endlich begreifen zu wollen. Sie fuhren die Meensestraat entlang, während Don
einige Rentner in Regenjacken erblickte, die zu den vergessenen Namen der
Soldaten auf dem Torbogen des Menenpoort hinauf deuteten.
     
    Als sie
Ypem hinter sich gelassen hatten und in die düstere Landschaft hinauskamen,
begann der Fahrer auf die Gräberfelder zu deuten, die der Wagen langsam
passierte.
    »Genau
diese Straße, Zonnebeekseweg«, erklärte er ihnen mit angeheiterter Stimme vom
Fahrersitz aus, »nannten die englischen Soldaten >Oxford Street<, als sie
im Ersten Weltkrieg zu den Schützengräben hinaus und ihrem Tod
entgegenmarschierten. Und jetzt stehen hier nur noch ihre weißen Kreuze in
langen trostlosen Reihen.«
    Der Wagen
schlingerte über die Fahrbahn, als er zu Don nach hinten schielte:
    »Man sagt,
dass die Leichen, die dort draußen liegen, immer noch den Geruch des Regens
wahrnehmen können. Matsch und Schlamm sickern durch ihre vermoderten Sargdeckel,
woraufhin sie von einer Hoffnung erfüllt werden, vielleicht doch noch am Leben
zu sein.«
    Don
schaute in dem dunklen Fahrgastraum zu Eva hinüber, doch sie hatte ihren Blick
auf die nebelverhangenen Gräberfelder gerichtet.
    »Im Krieg
kommt das Ende immer überraschend«, fuhr der Fahrer mit leicht lallender
Stimme fort. »Die Seele kommt nicht ganz mit, es geht alles zu schnell. In
einem Augenblick dröhnt einem noch das Geheule der Granaten in den Ohren; jede
Muskelfaser ist angespannt und damit beschäftigt vorwärtszustürmen. Und im
nächsten ist alles vorbei. Die Seele kann solchen Umstürzen nicht folgen. Sie
wird für immer und ewig über den Lehmboden kriechen, auch wenn sie keinen
Körper mehr besitzt, mit dem sie kriechen kann. Sie weigert sich einzusehen,
dass ihre Zeit abgelaufen und das Leben für immer vorbei ist.« Wieder der Blick
in den Rückspiegel.
    »Sie
können sie doch bestimmt auch zwischen den Grabsteinen umherkriechen sehen,
oder?«
    Don
antwortete nicht. Es regnete weiter, und an einer niedrigen Mauer aus
Ziegelsteinen verlangsamte der Fahrer das Tempo.
    Auf der
anderen Seite der Mauer verliefen weiße Kreuze in symmetrischen Reihen auf
einen Horizont mit verkrüppelten Bäumen zu. Als sie vorbeiglitten, erschien das
Muster der Kreuzreihen in einem Augenblick senkrecht, während es im nächsten
diagonal wirkte und einen langen querverlaufenden Schnitt bildete.
     
    Das Taxi
hielt am Eingang des Gräberfeldes, den zwei weiße Säulen und eine schwarze
schmiedeeiserne Pforte kennzeichneten. An die Säulen waren Eisenschwerter
genietet, deren längliche Klingen mit Lorbeerblättern bedeckt waren.
    Innerhalb
der Mauer stand ein schwermütiges Golgatha-Monument. Auf einem Sockel aus
Granit standen zwei Frauen in faltenwerfenden bronzenen Umhängen, deren
Gesichter hinter Hauben verborgen waren. Über ihnen erhob sich ein Kreuz, an
dem die Christusgestalt im

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