Wallentin, Jan
wurde, als Elena auf die
Füße kam. Sie ging in die Hocke und begann das kleine Schloss in Augenschein zu
nehmen.
Dann
fragte sie ihn, ob er zufällig etwas bei sich hätte, was sie benutzen könnten,
idealerweise etwas Spitzes und Schmales. Don musste lächeln, während er mit der
Hand in seiner Schultertasche kramte und kurz darauf eine kleine in Plastik
eingeschweißte Kanüle hervorzog.
Elena nahm
die Nadel zur Hand, bewegte sie mit geübten Fingern, und nur ein paar Sekunden
später war es ihr gelungen, sein Handgelenk zu befreien. Dort, wo die
Handschellen gesessen hatten, war die Haut blutig gerieben, und nachdem Elena
sich selbst befreit hatte, zog sie eine kleine Bandage hervor.
Sie
wickelte sie um Dons Handgelenk und sagte:
»Wir
müssen los, bevor das Wetter schlechter wird.«
Don
schaute missmutig über die endlose Eisfläche hinweg.
»Sie
meinen, wir müssen den ganzen Weg zum Eisbrecher zurücklaufen? Ist das nicht
ziemlich weit?«
»Achtzehn
Kilometer«, antwortete Elena. »Doch hinsichtlich der Fragen, die uns dort
erwarten, glaube ich nicht, dass es eine besonders gute Idee ist. Aber dorthin
...«
Sie
deutete auf den russischen Helikopter.
»Dorthin
sind es wohl nur ein paar hundert Meter, oder?«
Elena
klopfte sich den Schnee ab, und noch bevor er etwas einwenden konnte, hatte
sie sich bereits in Bewegung gesetzt.
Don stand
mit wackeligen Beinen auf. Dann begann er ihr so schnell er konnte zu folgen,
denn trotz ihres weiten Camouflageanzugs bewegte sie sich mit geschmeidigen
Bewegungen vorwärts.
Dann blieb
sie an einer Schneewehe stehen und beugte sich hinunter, als hätte sie etwas
gefunden. Als Don näher kam, sah er, dass sie Strindbergs verbrannten Stern und
das Kreuz aus dem weißen Schnee aufgehoben hatte.
Hinter dem
Armaturenbrett des Helikopters wirkte Elena erstaunlich sicher. Sie warf Don
einen Helm zu und half ihm, die Kopfhörer aufzusetzen und das Visier zu
schließen. Durch das getönte Sichtfenster konnte er die routinierten Bewegungen
verfolgen, mit denen sie all die verschiedenen Regler und Knöpfe bediente.
Dann
begannen sich die Rotorblätter zu drehen, und der Helikopter schwebte über die
kreideweißen Weiten der Arktis. Trotz des Windes gelang es Elena, die Maschine
ohne das geringste Ruckeln vorwärts zu bewegen, und schließlich segelten sie in
geringer Höhe über den Tunnel, der inzwischen nur noch ein Loch mit einem
metergroßen Durchmesser darstellte.
Als Don
hinunterschaute, konnte er sehen, wie der Luftzug, den die Rotorblätter
erzeugten, die Öffnung vollständig mit Schnee bedeckte und sie unsichtbar
machte.
Elena
veränderte den Pitchwinkel der Rotorblätter, und als sich die Schubkraft
erhöhte, nahmen sie wieder Kurs nach oben in Richtung des Sternenhimmels auf.
Durch das Rauschen der Motoren hindurch knisterte es in Dons Kopfhörern, und
er hörte Elena rufen, dass sie vorhatte, nach Longyearbyen auf Spitzbergen zu
fliegen, was etwa fünfzig Meilen entfernt lag.
Nachdem
Don die russische Kartensammlung inspiziert hatte, erschien ihm die Distanz
übers Meer erschreckend groß. Dennoch begnügte er sich mit einem untergebenen
Nicken. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, nicht selber entscheiden zu
können.
Elena
neigte die Nase des Helikopters nach unten, und als die Flügel Luftwiderstand
bekamen, nahmen sie endlich Fahrt auf. Don hatte das Gesicht gegen die
Fensterscheibe gepresst und schaute hinunter auf das vorbeisausende Eis,
während in seinem Schoß die Überreste eines Sterns und eines Kreuzes
durchgeschüttelt wurden.
Das weiße
Metall, das sich inzwischen schwarz gefärbt hatte, war merklich spröde und
zerbrechlich geworden. Don zog seinen Handschuh aus und ließ seine Finger über
die raue Oberfläche des Kreuzes gleiten, in der alle Inschriften weggeschmolzen
waren.
Dann kam
ihm der Ort in den Sinn, von dem er überzeugt war, dass sie ihn auf ihrer Fahrt
gen Süden ansteuern sollten, und er begann auf der Karte nach den genauen
Koordinaten zu suchen. Nachdem er sie Elena durchs Mikrophon zugerufen hatte,
brauchte er die Sache nur noch in kurzen Worten zu erklären.
Als sie
den Rand des Packeises erreicht hatten, flogen sie auf das Nördliche Eismeer
hinaus. Die schwarze Dünung wurde im Licht der Dämmerung immer grauer. Die
Polarnacht wich mit jeder Seemeile, die sie in Richtung Süden flogen, und weit
hinten am Horizont konnte man so etwas wie einen Sonnenaufgang erahnen.
Anfänglich
handelte es sich lediglich um
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