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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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die Augen, doch bevor sie irgendetwas erkennen konnte,
musste sie einige Male blinzeln. Im gedämpften Licht erkannte sie
verschlungene goldene Stickereien auf einem Seidenstoff sowie Blütenblätter und
Stängel im indischen Stil, die sich nach oben in Richtung einer Betondecke
schlängelten. Sie schob sich etwas näher heran, um den Wandbehang zu befühlen.
Er bewegte sich und hing demnach lose an der Wand neben ihr herunter.
    Als sie in
Richtung Fußende schaute, erblickte sie ein schmiedeeisernes Bettgestell und
weitere Wandbehänge. Oberhalb ihres Kopfes, wo ebenfalls etwas Seidenes hing,
wurde die Bewegung ihrer Handflächen von einer Wand gestoppt.
    Zwischen
dem Bett und dem hinteren Teil des Raums lag ein dicker Orientteppich, der
exakt die ungefähr zehn Quadratmeter große Fläche des Fußbodens bedeckte. Sie
erblickte weitere indische Stoffe in warmen Farben, und hinten an der Tür
standen kleine Kristalluntersetzer mit brennenden Teelichten und Räucherstäbchen.
Sie erklärten den Duft nach Sandelholz, doch dahinter vernahm sie noch einen
anderen Geruch. Es roch in gewisser Weise nach verbranntem ... Gummi?
     
    Als es Eva
gelang, sich auf die Bettkante zu setzen, verspürte sie einen stechenden
Schmerz in der Wade. Ihr fiel auf, dass ihre Pumps fein säuberlich neben der
Tür standen, und als sie einen ersten Versuch unternahm aufzustehen, fühlte es
sich an, als würde der Teppich unter ihren in Nylonstrümpfen steckenden Füßen
schwanken.
    Es klappte
nicht besonders gut, und sie sank wieder zurück in die Kissen. Dort verharrte
sie eine Weile reglos und wartete darauf, dass die Schmerzen nachlassen würden.
Doch dann hörte sie neben dem Geräusch ihrer eigenen stöhnenden Atemzüge noch
etwas anderes: ein metallisches Dröhnen, das immer näher kam; sie dachte, dass
es unmöglich so sein könnte, doch es schien, als würde etwas sehr Schweres
geradewegs auf sie zugerast kommen.
    Eva hielt
sich mit den Fingern an der Matratze fest und versuchte den instinktiven Drang
zu unterdrücken, unmittelbar ihren Platz zu verlassen, um nicht überfahren zu
werden. Doch ihre Intuition setzte sich durch, und sie drückte sich mit aller
Kraft von der Bettkante ab und machte einige schwankende Schritte auf dem Fußboden.
    Sie
spürte, dass ihr Bein sie trotz des stechenden Schmerzes trug, doch wohin sie
auch sah, erblickte sie nichts, wo sie hätte Schutz suchen können vor dem
Geräusch, das jetzt in den Raum hineindonnerte. Es klang wie etwas, das mit
hoher Geschwindigkeit über eine Weiche auf ... Eisenbahnschienen heranratterte? Dröhnend, kreischend, jetzt war es keine fünfzig Meter
mehr entfernt, und sie würde jeden Moment überfahren werden. Doch wie konnte das möglich sein? Sie stand immerhin in einem
geschlossenen Raum, umgeben von vier Wänden und einer Decke.
    Dann
erschien es ihr, als würde sich das Geräusch in eine vollkommen eigenständige
dröhnende Wand verwandeln, die auf sie zurollte. Eva hielt schützend die Arme
vors Gesicht und duckte sich.
    Im
nächsten Augenblick, der eine halbe Ewigkeit zu dauern schien, donnerte das
Gefährt unmittelbar über ihren Kopf hinweg, während sich einige Sandkörner von
den Betonplatten an der Decke lösten und in einer Wolke auf die
Schulterpolster ihrer Bluse hinabrieselten. Auf dem Boden neben der Tür
erzitterten die Flammen der Teelichte angesichts des Luftzugs, während das
Dröhnen langsam abebbte.
    In der
Stille, die dann folgte, spürte Eva, wie sie zitterte.
     
    Ein blauer
Ärmel tastete sich an den Wandbehängen neben der Tür entlang, und plötzlich
badete der Raum in Licht. Mit blinzelnden Augen sah Eva, wie eine
kleingewachsene Gestalt auf sie zukam. Die Gestalt legte sich Evas Arm um ihre
schmalen Schultern und stützte sie auf dem Weg nach draußen.
    »Tut mir
leid. Es muss ein Signalfehler gewesen sein.«
    Die Stimme
war hell und weiblich.
    »Irgendwann
mussten Sie ja schließlich mal aufwachen.«
    Eva fiel
nichts ein, was sie hätte erwidern können, während sie mit dem Arm über den
Schultern der Frau durch die Türöffnung hinauswankte.
    Vor ihnen
öffnete sich ein schwach beleuchteter Korridor mit weiteren handgeknüpften
Teppichen: Kaschmar, Shiraz, Karachi, Afghan. Eva hatte vor langer Zeit einmal
gelernt, die verschiedenen orientalischen Muster auseinanderzuhalten, doch hier
kam es ihr vor, als würde sie in eine Auktionshalle hineinstolpern.
    Die Frau
schielte zu ihr hinauf.
    »Lärmschutz«,
erklärte sie. »Sonst ist es hier die

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