Wallentin, Jan
Mund vor Schmerzen verzog. Dann entspannte
sie es und legte den Fuß auf dem Boden unter der Arbeitsplatte ab.
Hex war
wieder in ihre Arbeit versunken, während Don mit einem vor Müdigkeit aschgrauen
Gesicht still dasaß. Eine ganze Weile lang war nur das Rauschen der
Ventilatoren zu hören.
»Und was
geschieht jetzt?«, fragte Eva schließlich.
Don
antwortete nicht.
»Was
geschieht ...«, begann Eva erneut, wurde jedoch von Hex unterbrochen:
»Deine Eva
fragt, was du vorhast zu tun, Danele. Sie
möchte, dass du sie in deine näheren Zukunftspläne einweihst.«
»Ich bin
nicht seine Eva ...«
»Ich habe
vor ... das Land für eine Weile zu verlassen«, erklärte Don, ohne sich ihr
zuzuwenden.
»Das Land
zu verlassen?«, fragte Eva verwirrt.
»Danele wird heute
Nacht mit dem Zug wegfahren«, erläuterte Hex. »Ich habe ihm versprochen, ihm
mit den Reiseunterlagen zu helfen.«
»Mit dem
Zug?«
»Deine
Freundin wiederholt sich ständig«, meinte Hex. »Ja, mit dem Zug«, bestätigte
Don.
»Nachdem
eine landesweite Suchmeldung herausgegangen ist, wollen Sie sich in einen Zug
setzen?«, fragte die Rechtsanwältin.
»Herrgott«,
murmelte Hex. »Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn ich mir das hier mit
anhören muss.«
Sie drehte
sich zu Eva um:
»Ich werde Danele außer Landes schicken, so übel, wie es um ihn
bestellt ist. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sollten sich besser Gedanken
darüber machen, wie Sie das juristische Desaster mit der Polizei wieder in
Ordnung bringen können. Nach Dons Worten zu urteilen scheinen Sie sich ja noch
nicht besonders intensiv damit befasst zu haben.«
»Es ist ja
auch nicht ganz leicht ...«
»Ja?«
»Es ist ja
auch nicht ganz leicht, etwas zu unternehmen, wenn Don einfach verschwindet,
fürchte ich«, entgegnete Eva. »Dann kommen Sie doch mit«, schlug Don vor.
Er stellte
sich hinter Hex und betrachtete die Texte auf dem Bildschirm. Eva war sich
nicht sicher, ob sie sich verhört hatte. Doch dann drehte er sich zu ihr um:
»Kommen
Sie mit, Ihre Kollegen in der Kanzlei in Borlänge könnten uns vielleicht
weiterhelfen, bis wir wissen, was hier eigentlich vorgeht. Sie stehen doch
genauso schlecht da wie ich, nach dem, was mit dem Sicherheitspolizisten
geschehen ist.«
Sie hob
die Augenbrauen.
»Okay,
vielleicht nicht ganz so schlecht wie ich«, korrigierte sich Don.
»Sie und
ich, Erik Halls Mörder und seine siebenundvierzigjährige Rechtsanwältin
fliehen vor der Polizei in einem Zug wohin? Nach Süden?«
»Nach
Südwesten«, berichtigte Don.
Hex hatte
aufgehört zu tippen, als wartete auch sie auf eine Antwort.
Eva
spürte, dass sie Zeit zum Nachdenken benötigte, Zeit für sich allein und
ergriff mit den Händen die Armstützen. Mit etwas Schwung gelang es ihr, vom
niedrigen Bürostuhl aufzustehen. Als sie ihr Gewicht bei einem ersten tastenden
Schritt verlagerte, brannte es in ihrer Wade.
Mit
zusammengebissenen Zähnen stellte sie dann allerdings fest, dass sie den
Schmerz für eine Weile aushalten konnte, um ohne Hilfe in Richtung des
Gerumpels zu humpeln, das sich entlang der Betonwände in den Regalen stapelte.
Hinter sich hörte sie die Geschwister streiten. Hex hektisch und mit heller
Stimme, während Don sie hin und wieder mit einem heiseren Krächzen unterbrach,
das genauso klang wie das während der langen Stunden im verschlossenen
Servierraum.
Eva konnte
ein kleines Lächeln nicht unterdrücken, das über ihre zusammengepressten Lippen
huschte, als sie daran dachte, wie Don ihr mit verstellter Stimme ausgewählte
Kostproben der bizarren Theorien serviert hatte, die bei einem Teil seiner
Studenten grassierten. Er hatte die langen Ausführungen in der Bibliothek für
eine komprimierte Schreckensvision seiner nunmehr seit einem Jahrzehnt
stattfindenden Seminare bezeichnet, und dennoch schien er in gewisser Weise
fasziniert von Eberleins Geschichte über Strindberg und die Sphären.
Eva ließ
ihre Hand an den Reihen mit entleerten PC-Gehäusen und Behältern
entlanggleiten, ihre Finger strichen vorbei an demolierten Transistoren, Tuben
mit Wärmeleitpaste für Prozessoren, und sie sah ein, dass sie aufhören musste,
sich selber zu täuschen. Denn sie wusste nur allzu gut, an wen er sie
erinnerte. An wen er sie von Beginn an erinnert hatte, und warum es ihr
dermaßen schwerfiel, klar zu denken. Das gleiche abgehackte Lachen, das sie vor
so langer Zeit gehört hatte, dieselbe Faszination für absonderliche Phänomene,
für Mythen und
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