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Wallentin, Jan

Wallentin, Jan

Titel: Wallentin, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strindbergs Stern
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zu vergewissern, dass der
Rucksack auch tatsächlich das enthielt, was sie ihm versprochen hatte. Dann sog
sie so viel Luft in ihre Lungen ein, wie sie konnte, und betrat den mächtigen
Marmorsaal der Bank.
    Als sie in
dem hallenden Vorraum an die Rezeption kam, begrüßten sie die beiden
Sicherheitsbeamten wie immer förmlich. Einer von ihnen schob ihr die Platte
hin, um ihre Fingerabdrücke zu kontrollieren, obwohl er sie bereits von
Kindheit auf kannte. Im selben Augenblick, in dem sie die Platte berührte,
hörte sie vor sich ein leichtes Rauschen, und im Panzerglas glitt eine Öffnung
auf. Ihre Joggingschuhe bewegten sich quietschend die Treppe hinauf, während
Elena die Gedanken aufzuhalten versuchte, die definitiv zu weit führen würden.
    Dann war
sie endlich oben angelangt und bog auf dem Korridor nach rechts ab, folgte dem
langen Läufer auf dem Boden bis zum Fahrstuhl, der sie bis zum Wartesaal vor
dem Direktorenzimmer hinaufbrachte. Hier saß der junge Assistent mit einem
Gesicht voller rötlicher Sommersprossen und weißem Albino-Haar. Er warf ihr
einen phlegmatischen Blick zu; sie wurde bereits erwartet.
    Elena sah
hinauf zu den Ölgemälden mit mattschwarzem Hintergrund in goldenen Rahmen über
ihrem Kopf. Generationen von strengen Gesichtern richteten ihren festen Blick
auf sie hinunter, während sie die letzten Schritte auf die Tür zum
Direktorenzimmer zu machte. Dann glitt diese ohne den geringsten Laut von sich
zu geben auf.
     
    Die
altmodischen Eichenpaneele an den Wänden, die gebohnerte Oberfläche des
Parketts und Reihen von Geldschränken, in denen die mit Blei verschlossenen
Glaskapseln mit dem funkelnden Staub schon seit langer Zeit in der Dunkelheit
ruhten. Elena blieb ein Stück vom Schreibtisch entfernt vor dem Panoramafenster
stehen. Obwohl Vater ihr den Rücken zugekehrt hatte, wusste sie, dass er ihren
Atemzügen lauschte.
    Er hatte
wie immer seinen Blick auf die Burg gerichtet. Oberhalb des überdimensionalen
nördlichen Turms zogen dunkle Wolken heran. Der weiße Himmel hatte sich
zugezogen und war nun mit bleigrauen Wolken verhangen. Sein hagerer Oberkörper
ragte so weit über die Rückenlehne des Elektrorollstuhls hinaus, dass es völlig
unnatürlich wirkte. Es sah aus, als hätte man einen Erwachsenen in einen
Kinderrollstuhl gesetzt.
    »Elena
...«
    »Ja,
Vater.«
    Sie sprach
zu seinem Rücken.
    »Du hast
der Stiftung einen entscheidenden Dienst erwiesen, aber auch mehrere große
Fehler begangen.«
    »Ich weiß,
Vater.«
    Sie zog
die Silben in die Länge, wohlwissend, dass er den leichten italienischen Akzent
verabscheute, den man ihrer Aussprache immer noch anmerkte.
    »Es war
ein besonderer Vertrauensbeweis, gerade dich zu schicken. Die Aufgabe war
leicht, aber von entscheidender Bedeutung. Und du konntest es einfach nicht
lassen, uns ... in Schwierigkeiten zu bringen.«
    Er machte
eine Pause, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu entschuldigen, doch sie
wusste, dass es besser war, den Mund zu halten.
    »Was ist
also das Kreuz ohne den Stern wert, Elena?«
    Es
quietschte leicht auf dem Boden, als sich die Gummiräder des Rollstuhls in
Bewegung setzten und ihn ihr zuwandten, während er fortfuhr:
    »Nichts
als Müll. Eine Antiquität völlig ohne Wert.«
    Er rollte
an der Kante des Schreibtisches vorbei, dessen Oberfläche aus poliertem Leder
bestand, und bewegte sich auf die blanke Fläche des Bodens hinaus. Dann
betätigte Vater den Hebel an der Armlehne nach hinten, wodurch ihn die
Hydraulik des Rollstuhls zum aufrechten Stehen brachte.
    An das
längliche Gesicht, das jeglichen Haarwuchs vermissen ließ, und seine
abgeflachten Wangenknochen hatte sie sich nie ganz gewöhnen können. Die eng
nebeneinanderstehenden Zähne drängten sich in einem viel zu kleinen Mund. Um
der verwaschenen Spiegelung in dem blinden Auge zu entgehen, schaute Elena in
das andere, das schwarz und streng zu ihr hinunterblickte.
    Sie hatte
schon immer den Eindruck gehabt, dass die Krankheit Vater wie eine Spinne mit
dürren Armen und Beinen aussehen ließ. Doch niemals so stark wie jetzt, als er
noch ein Stück dichter heranrollte und sein einziges Auge auf den Rucksack
richtete, den sie geöffnet vor sich hielt.
    »Nichts
als Müll«, sagte er noch einmal. »Plunder.«
    Die langen
Finger wie einen Rechen gespreizt, steckte Vater die Hand in den Rucksack:
    »Es wiegt
ja ganz wenig, oder?«
    Er hielt
das Kreuz vors Gesicht.
    »Ich hab
doch gesagt, dass es wenig wiegt.«
    Der Schaft
des Kreuzes

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