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Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)

Titel: Wallner beginnt zu fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas von Steinaecker
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er eigentlich die ganze Zeit über mit seinen Freunden unterwegs gewesen; auch Ana, mit der Costin zuerst noch regelmäßig telefoniert hatte, hat im letzten halben Jahr, seit dem zweiten Album der PingPongs , nur noch indirekt Kontakt mit Costin, über die Managerin der Band, eine Melanie Zoitke, mit der sie sich aber tatsächlich gut zu verstehen scheint. Ana hat öfters gesagt, mit Melanie Zoitke könne man gut reden und sie, Melanie Zoitke, kenne Costin inzwischen erstaunlich gut.
    Obwohl Wallner demonstrativ aus dem Zimmer ging oder sich etwas anderem zuwandte, wenn Ana die neueste Popstar -Folge ansah, hatte er am Wochenende, wenn Ana einkaufen war, Anas Mitschnitte oft insgeheim im Schnellverfahren angeschaut, hatte den Vorlauf gestoppt, wenn Costin ins Bild kam. Hin und wieder, wenn er in letzter Zeit den Flieger nach Paris genommen hatte, hatte er auch in den Zeitschriftengeschäften am Flughafen in Nürnberg in Teenager-Zeitschriften geblättert, Bravo , Popcorn , Mädchen , um das Neueste über Costin beziehungsweise CO und die PingPongs zu erfahren. Wallner hatte gelesen, daß sich Costin von Henriette getrennt habe und mit der Sängerin einer anderen Band zusammen sei; daß sich das erste Album der PingPongs eine Woche lang auf Platz zwei der deutschen Albumcharts hielt. Costin hatte in einem Interview folgende Aussagen gemacht: „Mein Lieblingsgericht ist Sarmale, weil es mich daran erinnert, wo ich herkomm.“ Und: „Ich hab ein Herz für Pferde.“ In abgedruckten Fanbriefen hatte ein Mädchen, das 11, 12 oder 13 war, geschrieben, es sei in CO verliebt, es sei ihr größter Wunsch, ihn einmal zu treffen. Auf den Fotos, den Videos und den ausfaltbaren DIN-A 3-Postern in der Mitte der Zeitschriften, in die Wallner, am Stand in Geschäften stehend, hineinlugte, wurden aus Costins schwarzen Naturlocken kurze rote Stifteln, diese zu einer Glatze und diese zu schulterlangen, glatten blonden Haaren, trug Costin einen Ziegenbart, dann Monsterkoteletten, dann einen Dreitagebart, war glattrasiert und nahm im Lauf der Jahre deutlich zu.
    Wallner zieht die Videokassette aus dem Schrank, die Ana mit Konzert beschriftet hat, und legt sie ein. Es ist ein Konzert mit vielen früheren und späteren Popstar -Gruppen, ziemlich in der Mitte des Konzerts kündigt der Moderator die PingPongs mit einer Single aus ihrem neuen Album an. Obwohl die Musik der PingPongs nie die seine gewesen ist – wenn er Musik hört, dann vielleicht seine alten LPs aus den 70ern, Pink Floyd , Simon & Garfunkel , die Beatles , die Großen eben –, kann selbst Wallner hören, daß die neue Single keinerlei Zug besitzt. Zudem singen die PingPongs jetzt auf deutsch. Die Songs auf dem ersten Album waren auf englisch gewesen, was die Banalität der Texte zumindest zu einem gewissen Teil kaschierte.
    Wäre Wallner Costin, er würde sich weigern, zusammen mit diesem Wylie, der sich immerzu in den Vordergrund drängt – er ist ja viel öfter zu sehen als Costin –, den Refrain „Dann möchte ich dein Boy sein“ (direkt daran angeschlossen die Zeile der Mädchen, der immer attraktiver werdenden Seema und der grauen Maus, dieser Uschi, „Und ich dein Girl“) zu singen. Wäre Wallner der Manager der PingPongs und nicht Melanie Zoitke, er würde die Lieder mit größter Sorgfalt und natürlich in Rücksprache mit der Band auswählen. Man würde sich treffen. Man würde diskutieren. Wäre Wallner der Choreograph der PingPongs , er würde sie nicht dieses Affentheater machen lassen. Costin kann hervorragend tanzen. Wallner weiß das. Wäre Wallner Costin, er würde Wallner um Verzeihung plus finanzielle Hilfe bitten, um diesem ganzen Popbusiness zu entkommen, wo einem vorgeschrieben wird, was man zu tun hat. Man ist unfrei. Man hat sich mit Unterschreiben des Vertrags der Produktionsfirma überantwortet.
    Wallner legt den Kopf zur Seite, um die Titel der Videos in den anderen Regalen zu lesen. Die Videos sind chronologisch geordnet. Während Wallners Blick über die Videos mit den Aufnahmen aus der Anfangszeit hier in Cham schweift, sieht er Sequenzen aus Filmen vor sich, an die er sich erinnert. Wie sich Wiget und Astrid nach ihrer Trauung vor dem Eingang der Kirche zum Gruppenbild mit Verwandten aufstellen, für die Fotografen stillstehen. Wie Ana mit der Kamera durch das erste Haus in Cham geht, die viel zu dunklen Bilder wegen der schlechten Beleuchtung. Costin als Baby in der Wiege. Costin als kleiner Junge auf einer Schaukel, auf die Kamera

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