Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
er noch mal da hinkommt, wo er mal war? puhh, aber das weiß ja niemand vorerst, jetzt geht’s erst mal um die Chance).
Andererseits sieht jeder Depp, wie die Zeit good ol’ Costin zugesetzt hat: Der Costin am Anfang des Videos, trainierter Körper, dynamische Bewegung, volles schwarzes Haar, hat nicht mehr ganz so viel Ähnlichkeit mit dem Costin, der bei Minute 2:30 mit leichtem Bauchansatz, zum Glück mit Schal, der das Doppelkinn verbirgt, und, als Zugabe: Geheimratsecken, im Tonstudio steht und einen Flugsaurier synchronisiert.
Kein Zweifel zudem: Petrescu ist nicht so gut wie Stars , wo Costin vor gut einem Monat ebenfalls im Büro des Chefs gesessen und sich mit ihm das Promovideo angeguckt hatte. Stars hat mehr Connections, Stars kennt die DJs in den Bukarester Clubs, Stars kennt Festivalchefs, Stars kennt Musiker, ja, Cacat!, wenn sich Stars bei ihm inzwischen gemeldet hätte, dann wäre er nicht zu Petrescu gegangen. Wenn die hier jetzt auch nichts zustande bringen . . .
Costin sieht so einen Bruchteil-einer-Sekunde-Flash-Gehirn-Film: Er bei Ana im Apartment in Bukarest, immer fetter, kugel-like, immer älter, Ana immer hutzeliger, Ana tot, Costin allein im Apartment in Bukarest, windige rumänische Agenten, die ihm, ganz Rumänien-Style, immer noch versprechen: „Hey, hey, ich sag dir, das klappt bestimmt“, Costin in Club auf Bühne, Flaschen fliegen et cetera, das ganze bittere Karriere-am-Ende-Szenario.
Auf dem Bildschirm im Hintergrund erlischt das Bild des Archäopterix, Costin dreht sich um, streckt, lächelnd, den Daumen aus, dann ist das Promo-Video ausgestanden, der Bildschirm im Büro Bogdan Petrescus ist schwarz.
Costin beherrscht ja eigentlich das Rumänische sehr gut – hören besser als sprechen, versteht sich –, aber damit ihm kein Fehler unterläuft, hat er darum gebeten, das Gespräch auf englisch zu führen, irgendwie fühlt er sich da wohler, ob er, sollte es mit der zweiten Karriere als Sänger klappen, dann auf rumänisch oder englisch singen wird, mal sehen; vielleicht könnten die Songs ja durch seinen minimalen Akzent noch catchier werden, seine Trademark: sein Akzent, sozusagen.
Ruxandra sagt: „Well“ und schaut Costin in die Augen. Ruxandra hat orange Augen. Das fällt ihm tatsächlich erst jetzt auf.
Costin sagt: „Well.“
30
Er weiß, daß Tante Maria, die eigentlich gar nicht seine Tante, sondern nur Anas Cousine ist, wie schon beim letzten Besuch gleich einen klagenden Gesichtsausdruck (Hände zusammenklatschen, ein- bis zweimal, Blick zum Himmel) bekommen wird und Anas Frage, wie es denn Tante Marias Mann, Ion, heute gehe, mit einem knappen „Ah! Nu îi merge bine de loc!“ beantworten wird. Während Tante Maria sagt, Ion gehe es sehr schlecht, er leide so in diesem schrecklichen Pflegeheim, ist Costin in die Küche gegangen, um einen weiteren Laib des griechischen Olivenbrots zu holen. Er weiß, daß Tante Maria, genau, drei, zwei, eins: jetzt sagen wird, das Pflegeheim sei doch so teuer (Himmel-Blick), obwohl es einen Standard wie aus der Zeit Ceaus¸escus besitze (klatsch-klatsch), und daß Ana dann mal wieder fragen wird, ob sie aushelfen könne, finanziell, was Tante Maria mit einer Miene der Entrüstung (Stirn runzeln, Hände abwehrend vor die Brust halten) abweisen wird.
Er mag Tante Marias griechisches Olivenbrot, das für ihn und Ana noch immer Onkel Dinus Brot heißt, weil Ana es früher, als sie bei ihren Besuchen in Bukarest bei Tante Steluţa und Onkel Dinu wohnten und es täglich griechisches Olivenbrot frisch aus Onkel Dinus Bäckerei gab, immer so genannt hatte, auch nachdem Onkel Dinu und später Tante Steluţa gestorben waren, Onkel Ion die Bäckerei übernommen hatte und Ana hin und wieder von Fahrten nach München aus einer neueröffneten Spezialbäckerei griechisches Olivenbrot mit nach Hause, nach Cham, brachte.
Costin kommt mit dem aufgeschnittenen griechischen Olivenbrot und einer Flasche Soave – anders hält er diesen Besuch nicht durch – zurück ins Eßzimmer. Ana und Tante Maria lachen.
Ana hat sich gerade aufgerichtet und mit tiefer Stimme und starkem Akzent gefragt: „Do you haff samsieng do decläär?“ Anas Zoll-Nummer. Costin weiß, daß vor einigen Sekunden eine Pause in der Unterhaltung entstanden sein muß und Ana angefangen hat, eine Anekdote zu erzählen, um einen unangenehmen oder peinlichen Moment zu überbrükken. Die Anekdote, wie sie, Ana und Costin, mal ein rumänischer Zollbeamter wegen des
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