Wallner beginnt zu fliegen (German Edition)
Vati überwunden, sie war jetzt noch nicht so alt, als daß man da nicht noch einmal was Neues aufbauen hätte können, 54 eben, und Wendy war fast erwachsen. Wendy weiß noch, wie nervös die Mama vor dem ersten Treffen mit dem Papa damals gewesen war – sie hatte Wendy ein wenig an ihr eigenes erstes Date erinnert – und wie die Mama danach im Bus gestrahlt hatte: Der Papa hatte ihr gefallen, das war zu sehen gewesen. Wendy hatte das damals, im Bus, überhaupt nicht in den Kram gepaßt, als ihr klargeworden war, daß es hier eigentlich mehr um die Mama als um sie selbst ging, und hatte was Böses gesagt. Aber die Mama hatte nur lächelnd aus dem Fenster geschaut und sich nicht die Laune verderben lassen. Wendy denkt an das Lied „No tears left to cry“ von den Los Angels . Die Mama . . . hat keine Tränen mehr zum Weinen. Der Pope malt ein Kreuz in die Luft und spricht ein Gebet, das so ähnlich klingt wie das Vaterunser, aber nicht das Vaterunser ist.
Romy war nicht zu erreichen. Auf die Schnelle war nicht herauszubekommen, ob es ein Wallnersches Familiengrab gab und wenn, wo sich dieses befände, so daß sich Therese in Absprache mit Jo und Jennifer für eine Beerdigung in Berlin entschlossen hatte. Obwohl Jo und Jennifer gesagt hatten, daß Costin sicher nie in der letzten Zeit in der Kirche gewesen sei und seine im Ausweis als griechisch-orthodox angegebene Konfession ihm wahrscheinlich nicht viel bedeutet habe, hatte Therese auf ein „ordentliches Begräbnis“ bestanden, weil Therese selbst in der Kirche in Salzburg nach Vatis Tod sehr engagiert und Atheismus für sie indiskutabel war – erwies sich jemand in ihrem Bekanntenkreis als Atheist, wollte sie mit ihm, sofern ihre Bekehrungsversuche keine Wirkung zeigten, nichts mehr zu tun haben; für Therese war Costin eben einfach insgeheim der griechisch-orthodoxen Kirche zugetan gewesen, auch wenn er dies nie gezeigt hatte – was zählt, ist das Innere, so sie.
Der Pope hat jetzt nach seinem Nikolaushut gegriffen, auch die Hände der anderen, wie sagt man da? Trauergäste? Besucher?, sind bei dem Windstoß automatisch an den Kopf gegangen, zu spät, da fliegt schon ein Hut, schwarz, durch die Luft. Der Hut gehört Jennifer. Jennifer steht neben Jo. Jennifer und Jo weinen nicht! Wendy macht es wütend, daß Jennifer und Jo nicht weinen. Wendy kann sich in diesem Moment genau vorstellen, daß Jennifer und Jo nur auf Costins Ableben gewartet haben und schon Pläne machen, wie sie das Label möglichst gewinnbringend für sich selber weiterführen, verwirft dann aber ganz schnell diesen Gedanken und schämt sich ein bißchen dafür, daß ihre Phantasie wieder mal mit ihr durchgegangen ist.
In einem Abstand zu den Trauergästen – ja, Trauergäste heißt das – steht eine in Schwarz gekleidete Frau mit Sonnenbrille, Mitte Dreißig vielleicht, das also muß Papas Ex-Gspusi sein, diese Romy, die Wendy nie getroffen hat. Therese hat sie einmal gesehen. Wendy wird, wenn man wieder sprechen darf, Therese fragen, ob das Romy war, wahrscheinlich ist sie voller Reue, diese Romy, Reue und Scham – ja, das klingt gut, voller Reue und Scham – darüber, daß sie den Papa so allein gelassen hat . . . Andererseits ist es für Wendy immer schon unerklärlich gewesen, daß er mit so einer so lange zusammen war, da wußte man ja schon als Außenstehender, worauf diese Art von Frauen aus ist. Allerdings – Wendy sieht das jetzt – schneuzt sich Romy – wenn es denn Romy ist – in diesem Moment und wischt sich mit dem Taschentuch über die Wangen.
In der Gruppe von vielleicht 20, 30 Leuten neben Jo und Jennifer erkennt Wendy einige Gesichter von Indie-Rock-Ikonen, wahrscheinlich handelt es sich bei den meisten um BIBO -Künstler. Wendy hat sie noch nie in wirklich, sondern bisher nur auf Megadisc-Covern, in Zeitschriften und im Fernsehen gesehen. Tau zum Beispiel sieht aber eben in diesem Moment – bleich (ob echt oder geschminkt: egal, sie ist ja immer bleich), glatt gegeltes schwarzes Haar, nachdenklicher Blick – praktisch genauso aus wie auf dem Titelfoto der Modezeitschrift, in der Wendy noch im Salzburger Flughafen geblättert hatte.
05
„25. Oktober
Ein Netz aus Intrigen hatte sich um den Leib gespannt, der jetzt im dunklen Schlund des Grabes verschwand. Und in der Tat: Der Plan der Verschwörer versprach aufzugehen. Mit scheinbar betroffenen Mienen standen sie am Grab des Plattenmoguls. Hinter ihren Taschentüchern aber lachten sie. Nur die Tränen und
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