Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
zuvorkam, zu verhindern, daß sie mit Menes zusammenträfe. Darin lag die Schwierigkeit; diese Zusammenkunft mußte um jeden Preis hintertrieben werden. In solche Pläne und Gedanken vertieft, eilte die aufgeregte Frau, ohne es zu wissen, durch den nächtlichen Park des Palastes, vorüber an all den kleinen Verzierungen und architektonischen Spielereien, die man dort angebracht, vorüber an den Grotten, Statuen, vorüber an Felsen und Büschen, ohne auch nur einen Blick auf ihre Umgebung zu werfen. Erst als sie im Vorübereilen beinahe an den kleinen Obelisken gestoßen wäre, erwachte sie aus ihren fieberartigen Träumereien.
»Ruhe!« rief sie sich zu. »Diese Erregung kann nur schaden, sie raubt mir die kühle Überlegung. Es wird alles nach meinen Wünschen gehen, nur Geduld.«
Dann ließ sich die Erschöpfte auf eine Bank nieder, sich die schweißtriefende Stirn wischend.
»Ich spiele ein gefährliches Spiel,« murmelte sie vor sich hin, »aber ich habe den Mut, es durchzuführen, ich setze alles, selbst meine Ehre daran, es zu gewinnen, und wenn ich unterliege, unterliege ich mit Würde. Ich weiß, was zu meines Sohnes Bestem dient, ich werde unbarmherzig, ohne Rücksicht auf ihn oder andere, danach streben, ihn vor der Welt zu erhöhen, ihn groß und ruhmvoll zu sehen, und sollte auch der Fluch der Götter auf mir lasten und sollten diese Hände« – sie betrachtete sie – »Blut vergießen müssen. Ich scheue kein Verbrechen, wenn es gilt, ihn glücklich zu machen.«
Ihre Liebe zu ihrem Sohne war Ehrgeiz. Sie fühlte nicht das Schändliche ihrer Pläne und Absichten, sie hatte eben völlig andere Ansichten von Menschenglück als er. Vor ihr lag der in den Nilkanal mündende Teich, silberblinkend wie der Rücken eines auf den Rasen geworfenen Schildes. Am Rande des Teiches neigte sich schmachtend eine Palme mit ihrem federartigen Büschel in den klaren, goldigblauen Nachthimmel. Der Mond zitterte schüchtern auf den Wellen des Teiches; ein Kahn, an dem sich die Wellen brachen, gluckste leise durch die Stille der Nacht. Dieses Wellenspiel klang manchmal wie ein schmerzlicher Hilferuf, und wenn sich das Rauschen der Zweige in das eintönige Wellengemurmel mischte, glaubte man zwei sich über ihr Unglück unterhaltende Menschen zu hören. Drüben in der Ferne verschwammen die schwarzen Dächer der entschlummerten Stadt in der Bläue der Nacht; wie Riesenarme, die sich verlangend emporrecken, ragten dort zwei Obelisken. Der Witwe ward es seltsam zumut in dieser Einsamkeit, in die sie sich, hingerissen von ihren Empfindungen, gewagt. Sie liebte die Einsamkeit nicht, sie fürchtete sich vor ihr. Eben war sie im Begriff aufzustehen, schleunigst den Heimweg zu suchen, als sie einen weißen Gegenstand bemerkte, der sich hinter einer dunkeln Hecke regte. War es ein Tier, das dort lauerte? Ein Reiher? Sie blieb sitzen, ihr Herz klopfte hörbar. Es knirschte in den Ästen. Der Kies knisterte, als wenn der Bauch eines Krokodils sich darüber hinschleppte. Das Gebüsch zerteilte sich jetzt, heraus schlüpfte eine zarte Gestalt, die furchtsam den vom Mond milchweiß beglänzten Pfad musterte, sich nach allen Seiten hin umsah und sich alsdann langsam vorwärts bewegte. Es war ein menschliches Wesen, das sich da versteckt hatte. Asso konnte nur erkennen, daß sie ein Weib vor sich hatte; weitere Beobachtungen ließen sich jetzt noch nicht machen. Die Gestalt huschte näher, anscheinend wollte sie nach dem Palast. Asso saß wie eine Bildsäule, die Gestalt mußte an ihrer Bank vorüber. Jetzt blieb die Gestalt stehen, jetzt zog sie die Falten ihres Mantels um den Leib, jetzt kam sie näher. Wer war es? Der Witwe begann sich eine freudige Ahnung aufzudrängen. Diese zarten Glieder hatte sie schon gesehen. Das furchtsame Wesen hatte die Bank erreicht; sie stutzte, als sie die regungslose Frau auf der Bank gewahrte; doch mochte sie dieselbe anfangs für ein lebloses Bild halten, denn sie wollte weiterschreiten. Kaum stand sie aber zwei Schritte vor Asso, als sie zurückbebte, wie von einer Schlange gebissen. Auch Asso war aufgesprungen, freudige Überraschung leuchtete aus ihren Augen. Sie hatte gefunden, was sie suchte.
»Erkenne ich dich? Du hier?« knirschte sie, indem sich ihre Züge zu einem scheußlichen Gemisch von Wut, Schadenfreude und Heimtücke verzerrten. Ein Griff und sie hatte die Hand der Gestalt umfaßt wie mit Geierklauen.
»Laßt mich los,« hauchte die Gestalt, in der Asso Myrrah erkannt hatte.
Ja! sie
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