Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)
und trifft Zuschek in den Bauch.
Es dauert eine ganze Weile, bis der aufhört zu japsen und mit bleichem Gesicht vornüberkippt.
10 Weltraumbus, Linie Rot
Kerbil und Henriette hocken nebeneinander im völlig überfüllten Weltraumbus und finden das Animationsprogramm total langweilig. Es scheint hauptsächlich für Erwachsene ausgelegt zu sein. Ein Androide namens Jakki veranstaltet ein Verkaufsquiz, bei dem man gegen eine geringe Teilnahmegebühr Grundstücke auf der Venus gewinnen kann. Leider klappt das Terraforming auf dem zweiten Planeten des Sonnensystems noch nicht besonders. Immerhin preist der Androide hauptsächlich die potenzielle Wertentwicklung der Grundstücke an und nicht das vermeintlich gesunde Klima.
Als Jakki begreift, dass das Interesse an seinem Quiz deutlich nachlässt, beginnt er mit einer Karaoke-Show und projiziert Liedverse auf den Fußboden. Kerbil merkt sofort, dass es sich bei den Liedern um Werbejingles handelt, und er stupst Henriette den Ellenbogen in die Rippen. Im nächsten Moment fröstelt ihm, weil ihre Mutter ihm jede Berührung verboten hat. Er hofft, dass sie nichts davon erfährt. Dass Henriette ihn nicht verpfeift.
»Europas Wunder, Eko-Spirit«, runzelt Henriette die Stirn. »Ist das aus dieser neuen Parfümwerbung?«
»Nee«, schüttelt Kerbil den Kopf. »Schlafzimmermöbel.«
Henriette hebt den Finger. »Ich weiß! Luxus-Haarfestiger.«
»Kann sein. Mit so was kenn ich mich nicht aus.«
»Sieht man an deiner Frisur«, versetzt Henriette.
»Frisuren sind was für Mädchen. Jungs haben Haare.«
Henriette fährt beleidigt herum und rupft eine Frauenzeitschrift aus der Sitztasche, steckt die Nase hinein und schweigt eisern.
»Und Männer haben Hüte«, ergänzt Kerbil unhörbar. Vor seinem geistigen Auge erscheint Philip Marlowe und sucht seinen Hut, nachdem ihn jemand zusammengeschlagen hat. Schließlich findet er seine Kopfbedeckung auf dem Rücken einer Leiche, darunter ragt der Knauf eines Messers aus dem Toten. Marlowe brummt unwillig, und Kerbil lehnt sich zufrieden zurück. Er verengt die Augenlider zu Schlitzen, sodass sich das Kabinenlicht bunt an seinen Wimpern bricht. Bisher hat alles vergleichsweise problemlos geklappt. Ganz ohne Leichen. Kerbil hat die Busfahrkarten umsonst bekommen. Dafür haben seine Eltern ein einjähriges Abo eines Diät-Bringdienstes, wenn sie aus ihrem Urlaub zurückkommen. Kann vermutlich nicht schaden, findet Kerbil. Nach seinem Alter hat der Ticketautomat nicht gefragt, vermutlich wäre das schlecht fürs Geschäft.
Der Bus der Linie Rot ist gefürchtet für seine mangelhafte Beinfreiheit, aber Kerbil ist noch nicht ganz ausgewachsen. Deshalb ist ihm auch die geringe Deckenhöhe egal – im oberen Geschoss soll etwas mehr Platz sein, sodass sich auch normal gewachsene Erwachsene nicht bücken müssen, aber zwei Jahre Diät-Abo fand Kerbil dann doch übertrieben: So dick sind seine Eltern auch wieder nicht.
Die Sitzreihen sind voll besetzt mit allen möglichen Passagieren: Geschäftsleute, die in ihren Anzügen aussehen wie aus dem letzten Jahrhundert, Wanderarbeiter in ihren traditionellen Trainingsanzügen, Konsumenten mit riesigen Einkaufstaschen mit animierten Logos und schließlich Gelegenheitsreisende, die vielleicht gerade ein Diät-Abo gebrauchen konnten.
Der Neutronenantrieb dröhnt gewaltig, die Lüftung bekommt die vielfältigen Ausdünstungen nicht unter Kontrolle, der Karaoke-Android jodelt mit gut gelaunten und bierseligen Fahrgästen um die Wette.
Kerbil schläft ein.
Ein »Hey« weckt ihn Minuten später. »Willst du eine?«
Henriette hat Kerbil den Ellenbogen in die Seite gestoßen und hält ihm ein buntes Döschen mit Tabletten hin.
»Hm«, macht Kerbil, »nicht meine Sorte.«
»Das sediert mich«, sagt Henriette. Es klingt, als würde sie über Seife sprechen, die besonders sauber wäscht.
»Wozu?«, fragt Kerbil müde.
»Ich bin etwas nervös. Weil …« Sie spielt mit der Pillendose. »… ich hab so was noch nie gemacht.«
»Was? Mit dem Bus zur Erde geflogen?«
Kopfschütteln. »Mit einem Jungen. Du weißt schon.«
Kerbil merkt, dass er rot wird. »Aber wir machen doch gar nichts.«
»Immerhin sind wir alleine in einem Bus.«
»Wir sind nicht alleine«, sagt Kerbil und stochert mit dem Finger in der Umgebung herum. »Siehst du? Alles voller Leute.«
»Ach«, winkt Henriette ab. »Du verstehst das nicht.«
»Das stimmt«, muss Kerbil zugeben.
Einen Moment lang schweigt Henriette. Vielleicht wirkt ihre
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