Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition)

Titel: Walpar Tonnraffir und der Zeigefinger Gottes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
Vom Netzwerk:
Zierde.«
»Unwahrscheinlich«, brummt Kerbil.
»Aber sie sehen sehr hübsch aus«, beharrt Henriette.
Kerbil starrt auf das Bild der Sängerin. Es ist eine miese Fotomontage, Madame Singsang würde sich nie Matsch in die Frisur schmieren. Sie hat ein Edel-Image, weil es keinerlei Nacktkalender von ihr gibt. Außer solchen mit Fotomontagen. Kerbil weiß das, weil sein Vater sich einmal lautstark darüber beschwert hat. »Jede Tussi zieht sich aus, bloß die da ist sich zu gut dafür. So eine Schlampe!« An diese Worte erinnert Kerbil sich noch sehr genau, denn seine Mama wurde daraufhin sehr wütend. Als Folge musste Papa in Kerbils Bett schlafen und Kerbil selbst auf dem Kuscheleuropäer, der extra dafür wieder aus dem Keller geholt wurde. Das Plüschtier roch so ähnlich wie die Zeitschrift vor Kerbils Nase.
»Ich glaube, wie landen gleich«, sagt Kerbil. »Und wenn wir in der ISS sind, nehmen wir ein Shuttle nach Hattingen.«
»Hattingen? Ist das etwa in Finnland?«
»Wie kommst du darauf? Klingt das so?«
»Ich will nicht nach Finnland. Da gibt's so viele Mücken.«
Kerbil schüttelt verzweifelt den Kopf. »Es liegt nicht in Finnland. Es liegt in der Nähe des Tempels der Sekte der pünktlichen Ankunft.«
»Gibt's da Mücken?«
»Nicht so viele wie in Finnland«, behauptet Kerbil.
»Wenn du lügst, sag ich's meiner Mama.«
»In Ordnung«, nickt Kerbil verkniffen.

Der Tempel ist ein ehemaliges Möbelhaus. Anstelle von Plakaten mit Sonderangeboten schmücken kunstvoll bemalte Banner die Fassade. Sie zeigen Zifferblätter, Finger und Handshakes. Gegenüber steht ein Junkfood-Fressladen, der sich durch den reichen Schmuck des Ankunftsjünger-Tempels herausgefordert fühlt und offenbar alle Sonderaktions-Fahnen aufgehängt hat, die auffindbar waren. So preist die Franchise-Filiale gleichzeitig Fettbrötchen mit Glasur, Pferdefüße à la Jupiter und Matschburger Extra Geil an, und das alles so gut wie gratis.
Kerbil bemüht sich redlich, keinen Hunger zu haben, denn er hat Wichtigeres zu tun, als sich den Bauch vollzuschlagen. Die Mission hat Priorität.
Das sagt er auch Henriette, die sehnsüchtig zu den bunten Fahnen hinüberschielt, die im Wind flattern wie die Standarten einer Armee verwirrter Ernährungswissenschaftler.
»Nehmen wir die Rolltreppe?«, fragt Henriette.
Kerbil rollt mit den Augen. »Wir sind in geheimer Mission hier, schon vergessen?« Er hat nicht die beste Laune, weil er sich eingestehen muss, dass er auf einen simplen Trick hereingefallen ist. Das beeindruckende Bild auf der Webseite der Sekte entspricht nicht der Realität. Mit viel Wohlwollen ähnelt das Vordach des Möbelhauses der majestätischen Bahnsteighalle, es ist bloß viel kleiner und von hübsch aufgefächerten Sonnenstrahlen ist auch nichts zu sehen. Das, muss Kerbil zugeben, liegt freilich am schlechten Wetter. Er ist ehrlich gesagt ziemlich unzufrieden: Da er viel mehr wiegt als auf dem Mars, kommt er sich fett und klobig vor, das allgegenwärtige Grau von Himmel und Parkplatz lässt seine Finger hervorzucken, aber sie finden keinen Regler für die Farbintensität, den irgendjemand versehentlich fast auf null gedreht hat.
Kerbil legt den Finger auf den Mund und winkt Henriette in ein schmales Treppenhaus. Sie schleichen gemeinsam die Stufen hinauf. Aufs Geratewohl nimmt Kerbil den Ausgang im ersten Stock – Volltreffer: Vor den beiden liegt eine Empore, von der aus sie einen hervorragenden Überblick haben.
Unter ihnen erstreckt sich ein geräumiger Saal, reich geschmückt mit grünen Fähnchen und verzierten Transparenten. Mehrere Kuttenträger laufen ohne Eile zwischen Sitzreihen herum und gehen nicht erkennbaren Tätigkeiten nach.
»Was steht da?«, fragt Henriette und zeigt auf ein gelbes Banner mit fetten, roten Buchstaben, das über dem Altar hängt.
»Verspätung ist die Fahrkarte aufs Abstellgleis«, liest Kerbil vor.
»Versteh ich nicht.« Henriette zuckt die Schultern.
»Heilige Schriften muss man nicht verstehen«, erklärt Kerbil. »Man legt sie aus.«
»Wie Teppiche?«
»Genau.« Kerbil hat nicht zugehört. Er kaut auf seiner Unterlippe, während er versucht, aus dem Treiben im großen Saal schlau zu werden. Auf der rechten Seite sind drei Sektenjünger damit beschäftigt, einen Wandbehang zu entfalten, auf den man einen großen Zeigefinger gemalt hat. Kerbil ist nicht ganz sicher, ob er das als Beweis dafür werten kann, dass die Sekte etwas mit dem Finger in der Erdumlaufbahn zu tun hat. Vielleicht sollte er

Weitere Kostenlose Bücher