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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, die aber bald abgeschoben wurden.
    Anfangs wollten mir Akis Leute immer ihre Teppiche andrehen. Wir haben dann, als sie sie auf legalem Wege nicht mehr loswurden, den Bunker damit ausgelegt. Der Raum hat seitdem fast etwas Gemütliches.
    Liebig, den ich aus der Kneipe Torpedokäfer kenne und der in dem Haus wohnt, das an meinen Bunker grenzt, spendierte Strom- und Fernsehkabel aus seiner Wohnung. Aki verlegte die Strippen bis in den Keller. Gemeinsam schleppten die beiden ein Sofa herbei, und seitdem können wir fernsehen. Gemütlichkeit im Bunkerambiente könnte man das nennen. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich einen Knick in die Kissen mache.
    Anfangs lebte der Teil von Akis Familie, der nicht zurück auf den Balkan, sondern, um nicht abgeschoben zu werden, in den Untergrund gegangen war, bei uns im Bunker. Für die Roma-Kinder war ich eine Göttin, sie beteten mich an, denn ich besaß etwas sehr Außergewöhnliches: einen gefrorenen Vater. Den hatten sie schon am ersten Tag entdeckt, als ich auf Besorgungstour war. Die Großmutter hatte ihm gleich aus der gefrorenen Hand gelesen, und die Kinder konnten es nicht abwarten, mir das Ergebnis zu verraten: »Unsere Großmutter hat gesagt, dass dein Eismann mindestens zweihundert Jahre alt wird.« – »Nur zweihundert Jahre?« Ich war enttäuscht, ich hatte mit tausend gerechnet. Ich habe mich immer geweigert, der Wahrsagerin meine Hand zu zeigen. Es hätte mir zu viel Unbehagen bereitet zu hören, dass ich nicht alt genug werden würde, um Vater zu beschützen.
    Dafür, dass Aki fortan sämtliche Transport-, Besorgungs- und Kletterarbeiten übernahm, habe ich ihm Deutsch beigebracht und wie man sich benimmt, wenn man nicht auffallen will. Er geht in der Stadt gut als Inder durch, er ist so eine richtige Bollywoodschönheit. Manchmal gehen wir zusammen ins Kino, wenn ein indischer Film läuft, und halten Ausschau nach einem Inder unter den Zuschauern, der ihm ähnlich sieht, und Aki versucht
dann, ihm bei einer besonders lebendigen Szene den Ausweis zu klauen. Einmal war sogar eine Aufenthaltserlaubnis dabei. Das haben wir gefeiert. Leider hat Aki den Pass ein halbes Jahr später verloren.
    Drei Jahre nach meinem Einzug in den Bunker war der neue Besitzer der Backwarenfabrik schon wieder der ehemalige, und es kamen Leute, die das Gelände zu einem Medienstandort umbauen wollten. »Hier entsteht eine kreative Denkfabrik in der Mitte Berlins«, schrieben sie auf ein Transparent, das sie weit sichtbar an den Mehlturm hängten. Ich konnte nur hoffen, dass sie zum Denken nicht in den Keller mussten.
    Im Dezember 2000 bestellten sie Bagger, Sperrmüllcontainer und Kräne. Meinem von meiner Mitarbeiterin und ehemaligen Brigadierin Karla treuhänderisch verwalteten Betrieb wurde von den Medienleuten, die aussahen wie Banker, fristlos gekündigt. Karla zog mit dem Betrieb nach Demmin. Mitgenommen hat sie auch die fiktive Arbeiterin Simone Müller, deren Lohn sie mir bis heute einmal im Monat übergibt oder in einem Postfach hinterlegt, zu dem wir beide einen Schlüssel haben. Bisher ist die Müller noch keiner Steuerprüfung aufgefallen, ich weiß nicht, wie Karla das mit der Lohnsteuerkarte regelt, ich frage auch nicht nach. Zum Glück ist Karla eine, die die Ordnung nach außen perfekt vertritt und zugleich permanent unterläuft. Eine echte Anarchistin, und ich danke dem Großen Eisbären, dass ich sie kennenlernen durfte.
    Zwischendurch liefen die Geschäfte sehr schlecht, aber im Moment profitieren wir von der Nostalgiewelle in Ostdeutschland. Unsere Kunden sind der festen Überzeugung: Damals gab’s noch Arbeit, und folgerichtig schmeckte das Eis auch besser. Karla hat alles bewegliche Geld zusammengekratzt und eine Werbekampagne gestartet.
    Moskau hat sich verändert. Moskauer Eis nicht.
    Moskauer Eis – der Geschmack des Ostens.

    Der Werbetrailer dazu lief sogar im Kino am Friedrichshain, in das ich manchmal zu den Spätvorstellungen gehe, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, damit mich niemand erkennt.
    Alles ging immer irgendwie weiter, bis Alex Anfang des Jahres herausgekriegt hat, dass sie das Produktionsgebäude wegen Baufälligkeit bis zum Sommer abreißen wollen. Ich musste mich langsam nach einem neuen Versteck umsehen. Gefahr kam dann aber plötzlich von der anderen Seite, dem inzwischen verkauften Nachbargrundstück. Dessen neue Besitzer haben die Bunkeranlage vor Kurzem entdeckt. Nur den Eingang nicht. Letzten

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