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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Augen erkennen mich manchmal noch Leute. Also schaue ich niemandem ins Gesicht, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Und wenn jemand fragt: »Bist du nicht Annja Kobe?«, dann sage ich: »Nein, da müssen Sie mich verwechseln, mein Name ist Danielle Schneider.« Vielleicht sollte ich diesen Namen mal in eine Internetsuchmaschine eingeben. Wer weiß, was die Dame so treibt, obwohl es mir jetzt auch egal sein kann. Der Pass ist sowieso abgelaufen. Aber irgendwie ist sie mir ans Herz gewachsen.
    Eine Zeit lang wollte Liebig mich überreden, ihn in Polen oder Dänemark zu heiraten und seinen Namen anzunehmen. Meine Geburtsurkunde habe ich zum Glück bei der Flucht mitgenommen. Aber ich habe das aus zwei Gründen ausgeschlagen – zum einen, weil ich befürchtete, dass die Behörden mir doch auf die Spur kommen könnten, aber mehr noch aus Angst, Liebig könnte diese Ehe ernst nehmen und Forderungen stellen oder aus Traurigkeit über meine Untreue wieder anfangen zu trinken.
    Mein Glück ist, dass die Gegend hier in den vergangenen zehn Jahren aufgehübscht wurde. Es wohnen jetzt ganz andere
Leute hier, die mich noch nie gesehen haben. Die meisten der Alteingesessenen konnten sich die sanierten Wohnungen nicht leisten und sind weggezogen oder haben es vorgezogen zu sterben. Vor allem meine trinkenden Freunde aus dem Torpedokäfer hat es erwischt. Morgen Mittag muss Liebig wieder einen von ihnen in die Erde orgeln. Diesmal ist es Blix von hinter dem Tresen, der immer sein bester Kunde war. Den hat die Kripo nach meinem Verschwinden damals auch in die Mangel genommen. Aber er hat ihnen nur Stuss erzählt. Dass ich eine Außerirdische sei, die, weil die Revolution verraten wurde, nun zu ihrer Galaxis hätte zurückkehren müssen. Die Kripobeamten ließen bald entnervt von ihm ab und befragten die anderen, die aber auch nichts Verwertbares beitragen konnten. Suffköppe eben allesamt, und Blix war ihr kluger König. Jetzt hat ihn der Krebs hinweggerafft. Morgen 11 Uhr Georgenfriedhof geht’s hinab. Bei aller Gefahr, erkannt zu werden, bin ich es ihm schuldig hinzugehen.
    Eigentlich verschwende ich nie Gedanken an die Zukunft, und wenn es nur der nächste Tag ist. Wenn sie uns mit dem Umzugswagen anhalten und wir uns blöd anstellen, ist’s eh vorbei. Bis dahin werde ich noch ein Stündchen schlafen. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Es ist 1.14 Uhr.

1.22 Uhr
Andreas Hosch und Micha Trepte fliegen aus einem Schwulenladen raus
    »Ich sag dir, so was Geiles, irgendwann ging nichts mehr. Ich hatte so zittrige Beine, dass ich hinterher eine halbe Stunde nicht Auto fahren konnte. Wir hatten uns in einem Hotel in der Kantstraße verabredet. Als ich auf dem Weg dorthin war, hat sie mir eine SMS geschrieben, dass sie im Zimmer Nummer 65 auf mich wartet. Nackt. Kein Licht anmachen, Kondome liegen auf dem Nachttisch. Ich soll von hinten kommen, aber nicht anal. Und sie dabei hinter dem rechten Ohr küssen. Hätt nicht viel gefehlt, und es wär mir schon im Hotelflur gekommen.«
    Hosch stellt sich gerade vor, was wäre, wenn Micha Treptes Frau ihn hier in diesem Schwulenladen über Sex mit wildfremden Frauen reden hörte. Sie würde es nicht glauben. Mein Mann, dieser gesetzte, fast kleinbürgerliche Familienmensch, niemals.
    »Ich weiß nicht, ob ich mich das trauen würde«, hört Hosch sich sagen, »so einfach in ein Hotelzimmer rein, ohne zu wissen, was einen da erwartet.« – »Hinter der Tür war es dunkel. Ich brauchte eine Weile, ehe ich mich orientieren konnte. Überlegte mir kurz, ob es nicht besser sei, mich lieber wieder abzutörnen. Andererseits machte gerade diese Angst, es könnte da im Bett eine Gefahr lauern, mich noch mehr an. Ich trat drei Schritte in Richtung Fenster. Das Zimmer roch abgestanden, ein bisschen nach traurigem Abspritzen. Sie fragte: >Code?<, und ich sagte: >Liliput<, das hatten wir vorher ausgemacht. Sie hatte viel Timbre in ihre Stimme gelegt, es war, als zöge mich eine unsichtbare Hand in ihre Richtung.« – »Du bist da also locker reinspaziert, stopp, nein, als Erstes hast du dein Handy ausgemacht.« – »Handy hatte ich schon vorher auf Beratungsmodus gestellt. Ganz abschalten, das macht Heike misstrauisch, sie weiß ja, dass ich erreichbar sein
muss während der Arbeit. Ach, was ganz wichtig ist, kein Parfüm, das musst du vorher mit deiner Sexpartnerin klären. Ist ein typischer Anfängerfehler, eine Nuance bleibt immer an deiner Haut hängen. Dann musst du dich bei deiner Frau mühsam

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