Walpurgistag
und einen Kiosk aufzumachen, mitten auf dem Marktplatz von Petropawl. Er nimmt die Maschine mit nach Hause. Sogar die Gebrauchsanweisung ist noch dabei, als habe jemand ihm einen Wink geben wollen, dass alles seine deutsche Ordnung hat.
»Typ K 109 – für das begehrte Lieblingsgetränk. Ob zu Hause oder in der Dienstpause. Ob sie allein trinken wollen oder Gäste haben – Typ 109 bringt das ganze Aroma heiß in die Tassen. Automatisch. Also schneller und besser. Bleibt mehr Zeit für den Genuß«, liest er auf dem Nachhauseweg.
Aber die Großmutter will die Maschine nicht. » Wir trinken keinen Kaffee, wir trinken Tee«, sagt sie. »Aber sieh mal, Großmutter, hier steht es, ein Kaffee- und Teeautomat. Du kannst auch Tee damit kochen.« – »Beim Zaren werde ich keinen Tee damit
kochen. Wozu haben wir Tausende Kilometer den Samowar mitgeschleppt? Bring die Höllenmaschine weg.«
Juri gehorcht, wie er immer gehorcht hat und vielleicht noch eine Weile gehorchen wird. Er zieht sich die Jacke über und läuft zum S-Bahnhof Marzahn.
Der Triebwagenführer wird etwas wehmütig, als er an dem Jungen mit der orangefarbenen Kaffeemaschine vorbeifährt. So eine hatte ich auch mal, denkt er, und eine Frau dazu, die mich verstanden hat. Juri fährt bis Ostkreuz und steigt dann um in die Ringbahn nach Neukölln. Dort kennt er einen Trödler, der ihm schon ein paarmal Sachen abgekauft hat, die die Großmutter nicht duldete. Er erinnert sich an den Föhn, den sie für Teufelszeug hielt. Eine Maschine, die Wind erzeugt. So ein Quatsch. Gab es nicht genug Wind auf der Erde?
Juri bekommt fünf Mark für die Kaffeemaschine. Er will protestieren, aber er kann es sich mit seinem besten Ankäufer nicht verderben. Wer weiß, vielleicht kommen sie ja nie wieder nach Kasachstan, und wo soll er dann hin mit den ganzen Sachen, die die Wohnung verstopfen.
Der türkische Trödler ist Kurde, aber er erwartet nicht, dass ausgerechnet ein Russe den Unterschied wahrnimmt. Jemal Karakus ist jetzt schon zehn Jahre lang im Geschäft, aber eine orangefarbene Kaffeemaschine hat er noch nie gesehen. Er stellt sie auf dem großen Küchenbüfett ab, das er 1990 in Ostberlin von einem Sperrmüllcontainer geholt hat und seit drei Jahren nicht losgeworden ist. Vielleicht wegen des großen Brandflecks an der linken Tür. Jemal verlangt zwanzig Mark dafür. Die meisten winken ab. Zu teuer. Jemal will nicht handeln. Vielleicht möchte er die Maschine ja insgeheim für einen noch nicht sichtbaren, aber größeren Zweck behalten. Er weiß es selbst nicht. Drei Jahre später kauft ihm jemand das Büfett ab, das genauso viel kostet wie die Kaffeemaschine. Die wandert neben die Registrierkasse. Jemal schaut sich den kleinen Sprung in der Kanne an. Na gut, fünfzehn Mark, sagt er laut, obwohl niemand im Laden ist. An diesem Abend stattet ihm Ismet Aksoy einen Besuch ab. Sie sind
1980 nach dem Militärputsch in der Türkei gemeinsam nach Berlin gekommen und haben bei Siemens in der Relaisproduktion angefangen. Jemal ist nach fünf Jahren ausgestiegen und hat den Trödelladen von einem alten Deutschen übernommen, der in den Ruhestand gehen wollte.
Ismet harrt nach wie vor am Fließband aus, er hat schließlich eine Familie zu ernähren. Jemal nicht. Seine Frau ist nur einmal nach Berlin gereist und nach nur zwei Tagen wieder nach Erzurum zurückgekehrt. Es war ihr zu kalt und zu grau im Norden. Hätte er sie im Sommer eingeladen, wäre sie vielleicht geblieben. Das hat ihm Ismet schon oft gesagt. Er selbst holte seine Frau Aso an einem lauen Maiabend vom Bahnhof Zoo ab. Sie deponierten das Gepäck in zwei Schließfächern am rückseitigen Teil des Bahnhofs, und Ismet führte sie am Zaun des Zoos vorbei in Richtung Landwehrkanal, wo sie eine Weile im Garten des Schleusenkrugs saßen, Tee tranken und sich in die Augen sahen. »Bei uns war dieser schreckliche Berliner Nebel dazwischen, ich konnte Rihans Augen gar nicht sehen«, pflegt Jemal immer zu entgegnen, wenn die Sprache auf seine Ehefrau kommt, »ich weiß nicht einmal, welche Farbe sie haben.« Meist schweigen sie danach, denn Ismet will Jemal nicht verletzen.
Dabei wäre die Hochzeit mit Aso beinahe nicht zustande gekommen, denn das mit dem Mokka hat Aso ganz schlecht hinbekommen. Beim traditionellen Kaffeekochen für die zukünftige Schwiegermutter verwechselte sie Zucker mit Salz, was die natürlich als offenen Affront verstand – so was machen Kandidatinnen nur, wenn sie nicht geheiratet werden
Weitere Kostenlose Bücher