Walpurgistag
und bis zur Ecke Oderberger mitgeschleift. Er stirbt noch am Unfallort.
Da Uwe Peschel keine Angehörigen hat, wird die Wohnung in einem Subotnik von seinen Kollegen ausgeräumt. Das Bett und der Kleiderschrank werden zerhackt und verbrannt, das Küchenbüfett und die Stereoanlage bekommt der Lehrling, der gleich in der Wohnung bleibt, denn sie gehört dem Schlachthof, und der Lehrling hat als Waise Anspruch auf eine Einraumwohnung. Die Kaffeemaschine geht in den Besitz eines Schlächters über, der am Abend nach der Wohnungsauflösung mit der unverpackten Maschine (die Gebrauchsanweisung hat er in den Glaskrug geknüllt) zur S-Bahn wankt. Er will mithilfe dieses Geschenks seine Frau umstimmen, die ihm gedroht hat, sich scheiden zu lassen, wenn er noch einmal betrunken nach Hause kommt. Er hat die K 109 aber längst vergessen, als er um 20.33 Uhr am S-Bahnhof Marzahn aussteigt. Die Bahn fährt weiter bis Ahrensfelde. Der Kaffeeautomat wird vom Triebfahrzeugführer
beim Kontrollgang im dritten Wagen gefunden. Er überlegt, ob er sie beim Dispatcher abgeben soll, entscheidet sich dann aber dafür, sie zu behalten. Wer so einen großen Gegenstand vergisst, kann sich wahrscheinlich auch nicht mehr dran erinnern, S-Bahn gefahren zu sein. Die Maschine ist zumindest augenscheinlich in Ordnung, es gibt Stecker, Schnur, Filterkörper und Wasserbehälterdeckel, Verteilerdüse und Filterdeckel, nur der Glaskrug hat einen leichten Sprung unter der Markierung mit der 3. Zwar findet der Fahrer noch Kaffeesatz im Filterkörper, aber der letzte Aufguss scheint noch nicht allzu lange her zu sein, denn es hat sich noch kein Schimmel gebildet. Der Triebfahrzeugführer und seine Frau brühten den Kaffee bisher immer filterlos, also zwei Löffel Kaffee, Wasser drüber und warten, bis sich das Pulver gesetzt hat. Bei ihrer Hochzeit waren Kaffeemaschinen gerade Mangelware, deshalb haben sie keine und auch keine Zeit, sich im Warenhaus Marzahner Promenade anzustellen, wenn eine Lieferung angekündigt ist. Seine Frau mag den Kaffee sowieso lieber von Hand aufgebrüht. Wo die Maschine nun aber einmal da ist, steigt sie ihrem Mann zuliebe auf Filterkaffee um. Sie macht ihn extrastark, weil er ihr sonst nicht schmeckt, und gießt Milch in die Glaskanne. Während des Filtervorgangs erwärmt sich die Milch von unten durch die Wärmeplatte. So bekommt man einen schönen warmen Milchkaffee, mit dem der Morgen nicht mehr ganz so düster aussieht. Nach dem Kaffee versucht die Frau des Triebfahrzeugführers im Staatsbürgerkundeunterricht den Schülern begreiflich zu machen, dass die Realität nur eine Übergangserscheinung auf dem Weg zum Kommunismus sei. Sie glaubt selbst nicht mehr so richtig an das, was sie da, mit vielen Adjektiven geschmückt, erzählt.
Die Kaffeemaschine übersteht die politische Wende mit leichten Kalkablagerungen zwischen Wasserbehälter und Wasserbehälterdeckel.
Die Frau des Triebfahrzeugführers macht eine Weiterbildung zur Französischlehrerin. Bei einem dreiwöchigen Lehrgang in Paris lernt sie die Vorzüge des echten Cafe au Lait kennen und kauft sich nach ihrer Rückkehr eine Bialetti-Espressomaschine. Ihr
Mann ist inzwischen mit einem weiblichen Fahrgast aus Westberlin durchgebrannt. Die Frau hatte sich verfahren und stand plötzlich in Ahrensfelde Nord, innerlich zitternd, als würde gleich ein Sibirischer Tiger kommen und sie auffressen. Es kam aber nur der Triebfahrzeugführer und brachte die Dame wohlbehalten zurück nach Kreuzberg, wo er über Nacht und bald voraussichtlich für immer bleibt.
Die Exfrau des Triebfahrzeugführers nimmt die Kaffeemaschine und trägt sie zum Sperrmüllcontainer. Bevor sie sie hineinwirft, hält sie inne. Was kann eine unschuldige Kaffeemaschine dafür, dass ihr Mann durchbrennt? Sie stellt die Maschine am Rand des Containers ab und geht nach Hause, um ein bisschen zu weinen. Die Maschine muss einen Regenguss und leichten Wind von West ertragen, bevor Juri kommt, ein junger Russlanddeutscher, der jeden Tag zum Container geht, um brauchbare Sachen für den neuen Haushalt an diesem schrecklichen Ort zu suchen, wo der Himmel manchmal nur bis über die Kniekehlen hängt. Er sehnt sich nach Kasachstan zurück, aber seine Großmutter dankt jeden Morgen Gott, der sie ins Gelobte Land zurückgebracht hat. Juri will nur ihr zuliebe glücklich sein, sie hat ihn großgezogen, aber sein Traum ist es, eines Tages mit einem Container voller getrödelter Sachen zurückzukehren nach Kasachstan
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