Walpurgistag
wollen. Aso heulte und beteuerte, sie habe wochenlang geübt, jemand der ihr Übles wolle, habe die beiden Vorratsdosen absichtlich vertauscht. Ismet nahm sie trotzdem, und Aso war ganz froh, ihrem Ehemann nach Deutschland folgen zu können, denn ihre Schwiegermutter hat ihr den gesalzenen Mokka nie verziehen. Daran muss Ismet denken, als er die Kaffeemaschine sieht. » Willst du sie geschenkt haben?«, fragt Jemal. »Ich werde die sowieso nicht los, ist von der anderen Seite.« Er macht eine Kopfbewegung in Richtung Osten, da, wo
die Neuen sitzen und ihnen den Platz streitig machen. »Wäre vielleicht gar nicht so eine schlechte Idee. Damit hätten wir das Mokkaproblem ein für alle Mal gelöst.« – »Man kann sogar Tee damit kochen.«
An jenem Abend sieht man Ismet mit einer Kaffeemaschine aus dem Trödelladen treten, ein orangefarbener Fleck, der in den 129er-Bus steigt und bis zur Kochstraße mitfährt. Den Rest der Strecke bis nach Hause läuft er.
Seit diesem Tag steht die Maschine am Fenster im dreizehnten Stock der Friedrichstraße 8, und wenn sie Augen hätte, könnte sie den Fernsehturm sehen.
Wie immer, wenn sie in der Küche ist, fällt Asos Blick zuerst auf den Fernsehturm. Sie hat manchmal Angst, dass er eines Tages einfach nicht mehr da stehen könnte, weil irgendein Idiot ihn gesprengt hat. Zwischen Oktober und März ist es noch dunkel, wenn sie von der Arbeit kommt, und es sind nicht mehr als die roten Blinkleuchten an der Spitze und unter der Kugel und der von unten beleuchtete Schaft zu sehen. Eigentlich sieht der Fernsehturm nachts wie die fein gemachten deutschen Damen aus, die manchmal sonntags in Kreuzberg untergehakt spazieren gehen, die Haare zum Dutt frisiert und die beste Perlenkette um den Hals. Diese alten Frauen, über die die Zeit hinweggegangen ist, die sich aber darum überhaupt nicht zu scheren scheinen, gibt es auch in Erzurum. Nur dass sie statt Dutt ein Kopftuch tragen.
Heute ist der Himmel hinter dem Fernsehturm schon hell.
Aso Aksoy sieht übernächtigt aus. Das hat ihr Emine gesagt, als sie eben zur Tür hereinkam. Sie würde sich jetzt gerne hinlegen, aber die nächste Arbeit wartet. Wenn sie den Kaffee ausgetrunken hat, muss sie sich in den 129er-Bus setzen und in die Adalbertstraße fahren, wo ihr Schwager ein Lebensmittelgeschäft hat. Ihr Leben spielt sich im Dreieck Hallesches Tor, Urbankrankenhaus, Kottbusser Tor ab – eine Fläche, kleiner als ein kurdisches Dorf.
Aso verbrennt sich die Zunge am heißen Kaffee. Miran ist wieder nicht nach Hause gekommen.
Vor zwanzig Monaten ist Ismet bei Siemens entlassen worden. Die Relaisproduktion wurde nach Amerika verkauft. Er hat sechs Monate lang am Fenster gesessen und auf die Stadt gestarrt, ohne ein Wort zu sagen. Nur zu den Terminen des Arbeitsamtes ist er aus dem Haus gegangen und jedes Mal niedergeschlagen wiedergekommen. Er hat nicht einmal mehr die Kraft gehabt, seinen Sohn Miran zurechtzuweisen, wenn wieder ein Brief von der Schule kam, dass er seit Wochen im Unterricht fehlte. Aso hat, als das Geld für die Miete nicht mehr reichte, zusätzlich zu ihrer Aushilfe im Geschäft des Schwagers mit dem Putzen im Krankenhaus angefangen. Als sie eines Tages von der Arbeit zurückkehrte, saß ihr Mann nicht am Fenster. Er kam nicht am Abend zurück, nicht in der Nacht, nicht am nächsten Tag, nicht am übernächsten. Dann gab Aso eine Vermisstenanzeige auf. Die Polizei hat ihn eine Woche später aus dem Landwehrkanal gefischt. Ismet konnte nicht schwimmen.
Gegen den Willen der Familie hat Aso den Leichnam ihres Mannes nicht nach Erzurum überführen lassen. Sie hat ihn auf dem muslimischen Friedhof in Gatow bestatten lassen, aber sie geht nur selten hin.
Seitdem röchelt die Kaffeemaschine öfter. Aso trinkt einen Kaffee, wenn sie traurig ist, und einen, wenn sie ratlos ist, bei Wut trinkt sie zwei und mit viel Zucker, bei Scheißwut schafft sie die ganze Kanne auf einmal, und Emine muss am Abend noch mal in den Supermarkt: Zucker holen. Oder Kaffee. Aso hat in letzter Zeit oft eine Scheißwut, vor allem wegen Miran. Sie beschimpft manchmal Ismet, weil er sie hier alleinegelassen hat mit den ganzen Problemen. Was ist, wenn sich der Junge auch noch einen Bart wachsen lässt und mehrmals täglich Allah anruft, wie der Sohn ihrer Schwester?
Aso Aksoy gähnt und trinkt dann hastig den Kaffee aus. Im Bad trifft sie Emine, die sich für die Schule fertig macht.
Emine tut aber nur so, denn am Dienstag hat sie die ersten
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