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Walpurgistag

Walpurgistag

Titel: Walpurgistag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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Maschine orangefarben ist. So viel Farbe hat er der Konsumgüterproduktion seines Landes nicht zugetraut.
    Allen Freunden des duftenden Kaffees stellen wir einen neuen Automaten auf den Tisch. Wir freuen uns, daß Sie sich für unser Erzeugnis entschieden haben, und wünschen Ihnen viel Erfolg mit unserer Kaffeebrühmaschine.
    Den Automat stets feststehend stationieren. Ihr Automat ist immer dienstbereit. Beachten Sie aber sorgfältig einige Details. Nutzen Sie nur einen fachgerechten Anschluß. 220 Volt Wechselstrom. Schutzkontakt. jede Freude braucht etwas Pflege.
    Uwe Peschel liest keine Gebrauchsanweisungen, weil er der Meinung ist, dass jedes schriftliche Dokument lügt. Deshalb kann er sie auch nicht für umständlich formuliert oder gar schwachsinnig halten. Auch stolpert er deshalb nicht über den Punkt sechs, der durch einen Pfeil mit einem Foto verbunden ist, das den Glaskrug mit Mensur zeigt. Die Gebrauchsanweisung studierenden Menschen wundern sich über diese eigenartige Bezeichnung, kennt man doch das Wort Mensur nur als Ergebnis schlagender Verbindungen, und die gehören längst der Vergangenheit an.
    In seiner Einraumwohnung im zweiten Hinterhof der Kastanienallee II in Prenzlauer Berg stellt Uwe Peschel die mit drei
Handgriffen montierte Maschine auf das alte Küchenbüfett, das er von seiner Großtante geerbt hat, die es 1943 aus den Trümmern ihres Hauses rettete. Jenem Bombenangriff entstammt ein großer Brandfleck auf der linken Tür neben der Intarsienarbeit, die Weintrauben darstellt. Uwe schließt den Stecker an eine Verlängerungsschnur an, die er hinüber ins Zimmer zieht, denn die einzige Steckdose in der Küche hat keinen Saft.
    Weil im Moment mal wieder keine Filtertüten zu bekommen sind, hat er den hinter vorgehaltener Hand gegebenen Rat der Verkäuferin im Centrum-Warenhaus befolgt und aus mehreren Lagen festem Klopapier eine Tüte gebastelt. Die hat er fein säuberlich an den Rändern zurechtgeknifft und in den Filterkörper eingelegt, mit sechs gehäuften Kaffeelöffeln Mocca Fix zugedeckt und den Filterkörper, mit dem Filterdeckel verschlossen, auf den Rand des Glaskruges gesetzt, den er auf die Warmhalteplatte stellt. Nun schiebt er den Schalter nach rechts, bis die rote Kontrolllampe leuchtet. Dann schaut er der Maschine beim Kaffeespucken zu. Wie gut, dass das Fleisch schwach ist, sonst hätte er jetzt nicht eine so schöne Maschine.
    Das servierfähige Getränk lässt er im Glaskrug auf der Warmhalteplatte stehen und klopft eine Etage höher bei Viola Karstädt, um sie zum Kaffee einzuladen. Eigentlich ist es eine Einladung zum Sex mit vorherigem Kaffeetrinken, aber er ist sich ziemlich sicher, dass es wieder nicht klappen wird. Das Scheitern ist schon in seine Bittsteller-Haltung eingeschrieben. Aber Viola nimmt gerne einen Kaffee, sie muss nämlich eine Arbeit über den wissenschaftlich-technischen Fortschritt unter den Bedingungen des Sozialismus schreiben, und sie ist schon dreimal eingenickt über der Schreibmaschine. Sie braucht das Leistungsstipendium dringend, das man sich aber nur verdient, wenn man die Arbeit in Politischer Ökonomie mit mindestens Note zwei abschließt. Wenn sie das Leistungsstipendium bekommt, kann sie sich auch wieder Kaffee leisten, bis dahin gedenkt sie sich von der Arbeiterklasse aushalten zu lassen. Als sie die Treppe herunterkommt, leuchtet ihr blondes krauses Haar wie eine Korona über ihrem
Kopf, und Uwe Peschel glaubt an eine Engelserscheinung, auch wenn er weiß, dass es nur das Licht ist, das durch das Treppenhausfenster scheint.
    Viola Karstädt erzählt Uwe nichts von ihrem Thema, der kann schon das Wort Sozialismus nicht hören, geschweige denn Politische Ökonomie, er hat genug von der realen Ökonomie eines Schlachtbetriebes, in dem hormongefütterte Schweine mit ungesunder Haut angeliefert werden und er sie im Akkord zu schlachten hat.
    Jetzt aber: Kaffee! Ein paar Butterkekse holt er aus den Tiefen des Büfetts. Wider Erwarten findet sich dort auch eine angebrochene Flasche Kognak, vielleicht ein besseres Argument für Sex als er selbst.
    Der Kaffee schmeckt ein wenig nach Plaste, die Kekse nach Pappe, der Kognak nach Frankreich, die Küsse nach Kognak, und Sex findet dann doch noch statt, wesentlich besser als PolÖk, sagt sich Viola Karstädt, die den körperlichen Lüsten ganz und gar nicht abgeneigt ist. Sie kriegt deswegen eine Drei in der Arbeit und kein Leistungsstipendium. Also lebt sie im nächsten Semester vom

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