Wandel
dann?
Dann hatte man hoffentlich wenigstens ein gutes, deutliches Foto des oder der Gesuchten – und man brauchte Lakaien. Massen von Lakaien. Vorzugsweise solche, die nicht gleich exorbitante Löhne verlangten.
Kaum zwei Blocks von St. Mary entfernt befand sich ein PizzaExpress. Sanya und ich machten uns eilends dorthin auf. Ich bestellte.
„Ich verstehe echt nicht, wie das uns weiterbringen soll“, sagte Sanya, als ich den kleinen Laden mit vier großen Pizzakartons verließ.
„Das liegt daran, dass du deine Probleme immer auf die einfache Art löst“, sagte ich. „Tür eintreten, alles zu Klump hauen, was nach Höllenbrut aussieht, alles retten, was gerettet werden muss. Sehe ich das richtig?“
„Nicht immer.“ Sanya wirkte gekränkt. „Manchmal benutze ich auch eine Pistole.“
„Dickes Lob – das zeugt von Fortschrittsgeist. Trotzdem bleibe ich dabei: Bei deiner Arbeit gibt es keine großen Umwege, du erledigst sie ziemlich direkt. Wenn du nicht weißt, wo du hinmusst, kriegst du den Weg gezeigt, und danach brauchst du nur noch deinen Job zu machen.“
„Ja “, sagte Sanya. Wir waren inzwischen ein Stück die Straße entlanggegangen. „Da magst du recht haben.“
„Eigentlich ist meine Arbeit gar nicht so sehr anders. Nur zeigt mir niemand, wo ich hinmuss.“
„Du musst wissen, wo du hin sollst?“
„Ja.“
„Klar, und da berätst du dich mit vier großen Pizzas.“
„Ja“, sagte ich.
Der große Mann runzelte kurz die Stirn. „Es gibt, glaube ich, eine Art von Humor, die sich nicht leicht aus dem Englischen in gesunden Menschenverstand übersetzen lässt.“
„Eine ziemlich gewagte Bemerkung für einen agnostischen Kreuzritter mit einem heiligen Schwert an der Hüfte, der sich seine Befehle bei einem Erzengel abholt.“
„Gabriel könnte genauso gut ein außerirdisches Wesen sein, das ändert nichts am Wert dessen, was ich tue. Für mich nicht und für die, welche ich beschütze, auch nicht.“
„Welche ich beschütze!“, lästerte ich mit breitem russischem Akzent. „Da hat aber einer seine Fremdsprachenkenntnisse mächtig aufpoliert.“
Sanya schaffte es irgendwie, mich verächtlich von oben herab zu mustern, obwohl er doch ein paar Zentimeter kleiner war als ich. „Damit will ich sagen, dass ich keinen niedergeschriebenen Kodex eines formellen Glaubens brauche, um mich wie ein anständiger Mensch zu verhalten.“
„Mann, du bist verrückter als ich.“ Inzwischen waren wir in eine Seitengasse eingebogen. „Und ich rede mit Pizza.“
Ich legte die vier Kartons auf vier nebeneinanderstehenden Mülltonnen ab und prüfte mit raschem Blick, ob auch wirklich niemand in der Nähe war. Es ging auf die Mittagszeit zu, nicht der bestmögliche Zeitpunkt für das, was ich beabsichtigte, aber die Seitengasse schien menschenleer. Noch ein letzter Blick nach rechts und links, dann holte ich tief Luft – und mir fiel etwas ein.
„He, Sanya? Steckst du dir mal eben die Finger in die Ohren?“
Der große Russe starrte mich entgeistert an. „Was?“
„Deine Finger!“, sagte ich und wackelte mit allen zehn Fingern. „In deine Ohren!“ Ich deutete auf meine Ohren.
„Ich verstehe die Worte. Natürlich, da ich jemand bin, der seine Fremdsprachenkenntnisse aufpoliert hat. Warum?“
„Weil ich der Pizza hier was sagen will und nicht möchte, dass du zuhörst.“
Sanya warf einen langen, leidvollen Blick gen Himmel, seufzte und steckte sich die Finger in die Ohren.
Ich streckte ihm meinen hochgereckten rechten Daumen hin, drehte mich um, legte beide Hände als Trichter vor den Mund, damit niemand meine Lippen lesen konnte, und flüsterte ein paarmal einen Namen, jede Silbe mit meinem Willen angereichert.
Ich musste den Namen nur ein gutes Dutzend Male wiederholen, bis über mir ein Schatten auftauchte und ein Wesen von der Größe eines Jagdfalken vom Himmel fiel, um mit surrenden Flügeln ungefähr einen halben Meter vor mir in der Luft schwebend hängen zu bleiben.
„Boshe moi!“,spuckte Sanya und hatte Esperacchiusschon halb gezogen, ehe er das letzte Wort ganz ausgesprochen hatte.
„Gott soll uns helfen, oh mein agnostischer Ritter?“ Ich konnte mir den Spruch nicht verkneifen.
„Nur zu!“, piepste ein helles Stimmchen wie ein Shakespeare-Darsteller auf Helium. „Zieh dein Schwert, Ritter, und wir werden sehen, wervon uns blutüberströmt auf dem Schlachtfeld bleibt!“
Sanya stand da, den Mund weit offen, sein Schwert immer noch halb in der Scheide.
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