Wandel
„Das ist …“ Er schüttelte den Kopf, als hätte ihm jemand einen Fausthieb auf die Nase versetzt. „Das ist … ein Domovoi, da?“
Der kleine Kobold, von dem die Rede war, maß etwa vierzig Zentimeter und sah aus wie ein athletisch gebauter junger Mann, dem flirrende Libellenflügel aus den Schultern ragten und dessen Haarschopf einer Pusteblume glich. Sein Sammelsurium an Kleidern hatte offensichtlich irgendwann mal einer altmodischen GI-Joe-Puppe gehört, nur hatte er aus dem olivgrünen Tarnoverall die Ärmel herausgetrennt und hinten Löcher für die Flügel hineingeschnitten. Seine Waffensammlung trug er an Nylonbändern, an denen früher wohl Namensschilder gehangen hatten, wie sie bei Konferenzen üblich waren. Da gab es einen Brieföffner, der wie ein Langschwert an seiner Seite hing, zwei ähnliche trug er über Kreuz auf dem Rücken. Ich hatte ihm im vergangenen Jahr zu Weihnachten einen Sechsersatz Brieföffner geschenkt und ihm geraten, die Hälfte der Waffen irgendwo zwischenzulagern, um im Notfall eine Reserve parat zu haben.
„Domovoi!“,schrie der Kleine wutentbrannt. „Das nimmst du zurück!“
„Immer mit der Ruhe, Generalmajor!“, bat ich hastig. „Sanya, darf ich dir Generalmajor Toot-toot Minimus vorstellen, den Kommandanten meiner Leibwache? Toot, das hier ist mein alter Kumpel Sanya, ein Kreuzritter, der an meiner Seite schon viele Gefahren bestanden hat. Er ist in Ordnung.“
Die kleine Fee zitterte vor Zorn. „Er ist ein Russe und kennt noch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Domovoiund einem Polevoi .“ Toot-toot überschüttete den entgeisterten Sanya, der ihn um Kilometer überragte, mit einem wütenden Wortschwall auf Russisch, begleitet von heftigem Schütteln seiner kleinen Fäuste.
Sanya lauschte, zuerst nur verwirrt. Dann schob er das Schwert in die Scheide, hob beide Hände zu einer beschwichtigenden Geste und sagte etwas, das sehr ernst und feierlich klang. Das schien Toot zu beruhigen. Er warf Sanya noch ein, zwei abschließende Worte an den Kopf und reckte das Kinn. „Das hätten wir dann wohl geklärt.“
„Toot?“, fragte ich. „Wie kommt es, dass du Russisch sprichst?“
Er starrte mich an. „Was soll die Frage? Man spricht es einfach.“ Er verbeugte sich formvollendet. „Womit kann ich dienen, mein Fürst?“
Erst jetzt kam ich dazu, ihn mir näher anzusehen. „Warum hast du dir eine Gesichtshälfte blau angemalt?“
„Wir sind doch jetzt Winter, mein Fürst.“ Ein besorgter Seitenblick huschte zu den Pizzakartons. „Aber das heißt nicht, dass wir die Pizza kalt essen müssen, oder?“
„Natürlich nicht“, sagte ich.
Toot wirkte sehr erleichtert. „Gut. Worum geht es also?“
„Ich habe einen Job für dich und alle, die du zusammentrommeln kannst.“ Ich wies mit dem Kinn auf die Pizza. „Bezahlung wie gehabt.“
„Geht klar, mein Fürst!“ Toot salutierte, konnte sich aber einen weiteren Blick auf die Kartons nicht verkneifen. „Vielleicht sollte jemand die Pizza vorher kontrollieren. Falls Gift drin ist. Wie sieht es denn aus, wenn man Eure Diener vergiftet?“
Ich warf ihm einen schrägen Blick zu. „Gut, ein Stück. Ein einziges, und danach …“
Weiter kam ich nicht. Toot stürzte sich auf den ersten Pizzakarton wie ein weißer Hai auf eine Robbe. Er bohrte sich regelrecht hinein, ein helles Schwert flammte auf, der Deckel flog beiseite – und Toot hatte sich das größte Pizzastück geschnappt und war dabei, es konsequent zu verschlingen.
Beeindruckt sahen Sanya und ich zu. Das war, als sähe man einem normalgroßen Mann dabei zu, wie er ein Pizzastück von der Größe eines Kleinwagens verzehrt. Einzelteile flogen durch die Luft, wurden fein säuberlich mit der Klinge zerteilt. Sauce spritzte in alle Richtungen – und ich wurde kurz, aber nicht angenehm, an Mabs Steintisch erinnert.
„Harry?“ Sanya legte mir besorgt die Hand auf die Schulter. „Alles in Ordnung?“
„Wird gleich wieder.“
„Dieses Wesen dient dir?“
„Er und ungefähr hundert kleinere seiner Art, und fünf Mal so viele stehen für Teilzeitjobs bereit. Ich kann sie von Zeit zu Zeit zusammenrufen.“ Ich musste kurz überlegen. „Aber dienen? Ich glaube nicht, dass man das so nennen kann. Sagen wir: Wir haben eine Geschäftsbeziehung, die für beide Teile befriedigend ist. Sie helfen mir von Zeit zu Zeit, ich versorge sie regelmäßig mit Pizza.“
„Die sie ganz offensichtlich lieben.“ Sanya nickte.
Toot drehte sich vor
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