Wandel
setzte sich auf, leckte sich die Lippen, was sie noch einmal in selbstvergessener Ekstase erzittern ließ – aber dann wischte sie sich resolut mit dem Ärmel über den Mund und zwang sich zum Aufstehen. Sie sah sich um, angespannt, Furcht im Blick – bis sie mich entdeckte.
„Gott sei Dank!“ Erleichtert schloss sie die Augen.
Ich nickte ihr zu und winkte sie mit einer Handbewegung zu mir herüber.
Seite an Seite wandten wir uns dem Erlkönig zu.
Die Mitglieder des Roten Hofes befanden sich immer noch dort, wo sie sich von Anfang an befunden hatten, nur dass Esmeralda und Esteban nun auch in je einem Netz gefangen saßen. Ich hatte mich offenbar zu intensiv um Susan gekümmert und nicht mitbekommen, welches Nachspiel unser Kampf in der Arena gehabt hatte. Die Eebs hatten wohl versucht, sich zu verdünnisieren, als der Ick die ersten Anzeichen von Schwäche zeigte, nur hatten sie anders als bei ihrem unerwarteten Auftauchen mitten in einem Gelage diesmal nicht das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gehabt.
Die Kobolde hatten beide erwischt, und nun starrten die Eebs Susan und mich durch Stacheldrahtnetze hindurch mit wütenden, hassverzerrten Gesichtern an.
Der Erlkönig ließ den Blick einen Moment lang auf den gefangenen Vampiren ruhen, ehe er uns ein schwaches Lächeln gönnte. „Gut gekämpft“, lobte er mit tiefer, hallender Stimme.
Susan und ich verneigten uns schweigend.
Der Erlkönig hob die Hand und schnippte einmal kurz mit den Fingern, was so ähnlich klang wie das Knallen einer Feuerwaffe.
Wie eine Welle stürzten sich mehrere hundert gewaltlüsterne Kobolde auf die hilflose Crew des Roten Hofes. Entsetzliche Schreie hallten durch den Saal. Eine Sekunde lang sah ich angeekelt, aber fasziniert zu, dann wandte ich mich ab.
Ich hasste den Roten Hof. Aber es gab Grenzen.
Allerdings wohl nicht für die Gefolgsleute des Erlkönigs.
„Was ist mit dem Roten König?“, fragte ich. „Den Herren der äußeren Finsternis?“
Die roten Augen des Erlkönigs leuchteten. „Die Anhänger seiner Majestät konnten ihre friedlichen Absichten nicht unter Beweis stellen. Im Gegenteil: In dem Verfahren, dem ihr euch unterzogen habt, haben wir nach Gesetz und Sitte festgestellt, dass sie uns täuschen wollten. Soll ihr König ruhig jaulen vor Ärger, wenn ihm danach ist. Sollte er dieser Sache wegen einen Krieg anzetteln, dann wird sich das gesamte Feenreich voll Zorn gegen ihn stellen. Das wird eine köstliche Jagd.“
In die Schreie des Roten Hofs – Esmeraldas klangen besonders schrill – mischte sich heiseres Kichern, das von den Wänden widerhallte und zum eigenen Echo zu tanzen schien. Es hörte sich an wie der offizielle Soundtrack der Hölle. Ein Kobold mit dicken Lederhandschuhen brachte die Überreste von Susans Tischbein. Er hielt die Stange, als sei sie glühend heiß. Die Berührung von Eisen und all seinen Legierungen bereitet den Wesen des Feenreichs große Schmerzen. Susan nahm den Stahl ruhig entgegen und bedankte sich mit einem Nicken.
„Ich darf also annehmen, dass es uns freisteht zu gehen?“, fragte ich leise.
Der Erlkönig lachte. „Wenn ich euch jetzt nicht freilasse, wie komme ich dann zu dem Vergnügen, euch eines feinen, hellen Abends selbst jagen zu dürfen?
Ich kann nur hoffen, dass mein Schlucken nicht allzu vernehmlich ausfiel.
Der Herr der Jagd drehte sich um und öffnete mit einer nachlässigen Handbewegung hinter uns einen schimmernden Weg. Das grüne Licht, durch das wir bisher alles um uns herum hatten sehen können, verblasste zusehends. „Möget ihr eine gute Jagd genießen, Herr Ritter, edle Jägerin. Übermittelt der Winterkönigin meine Grüße.“
Der vernünftige Teil meines Hirns schien Sendepause zu haben. „Alles klar, Erl, war mir ein Vergnügen.“
Vielleicht hatte er den Spruch gar nicht mitbekommen. Der Erlkönig legte den Kopf schräg wie ein Hund, der ein unbekanntes Geräusch hört.
Danach verneigten wir uns alle noch einmal sehr höflich voreinander, und Susan und ich traten durch das Tor, wobei wir unseren Gastgeber nicht aus den Augen ließen, bis die Welt um uns herum schimmerte und die Halle des Schreckens nicht mehr zu sehen war.
Sie wich einem großen, rustikal wirkenden Gebäude, das vom Keller bis zum Dach mit allem nur Erdenklichen gefüllt schien, was man irgendwie brauchen konnte, um alles, was lief, flog, sich schlängelte, hüpfte oder schwamm aufzuspüren, zu ködern, zu schießen, zu fangen, zu säubern, zu kochen und zu
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