Wandel
aus der Zeit von Queen Viktoria, dazu der entsprechende Mantel, wich einem weiteren Seidenensemble, bei dem diesmal das kaiserliche China Pate gestanden hatte. Inzwischen waren Lea und Susan gemeinschaftlich äußerst engagiert in das Projekt verstrickt, tauschten eifrig Kommentare und ignorierten standhaft jeden meiner zaghaft vorgetragenen Einwände. Beim siebten Outfit hatte ich es aufgegeben, mitreden zu wollen.
Die beiden jagten mich kleidungstechnisch durch alle möglichen Epochen und Kulturen. Ich rappelte mich ein letztes Mal auf und plädierte vehement für die Rückkehr meines Ledermantels, erhielt aber lediglich den strengen Befehl, gefälligst den Mund zu halten. Die Damen sprachen weiterhin ausschließlich miteinander.
„Lass uns anders rangehen“, sagte Susan, nachdem sie besagte zwölf Kostüme verworfen hatten. „Womit können wir die alte Schlampe am besten in Rage bringen?“
Lea strahlte. „Genau! Das ist perfekt.“
Noch einmal zog die Kleidung auf mir ihre seltsame Schlängelnummer ab, und als sie damit fertig war, trug ich eine reich verzierte Rüstung in einem Stil, der im fünfzehnten Jahrhundert in Westeuropa weit verbreitet gewesen war. Sie war dunkel, mit breitem, dekoriertem Schulterschutz und lächerlich überverziertem Bruststück und so geschickt konstruiert, dass ich mich frei darin bewegen konnte. Filigrane Goldeinlegearbeiten, wohin das Auge sah – und das Ganze sah aus, als wöge es gut und gern sechshundert Pfund.
„Cortés trug eine Rüstung in diesem Stil“, brummte Lea. „Fehlt nur noch …“
Ein schweres Gewicht legte sich plötzlich um meinen Kopf. Ich seufzte geduldig, tastete nach oben und entfernte einen perfekt zur Rüstung passenden, kunstvollen Konquistadorenhelm, den ich auf dem Boden der Limousine absetzte. „Ich trage grundsätzlich keine Hüte“, verkündete ich in einem Ton, der hoffentlich keinen Widerspruch zuließ.
„Pah!“, sagte Lea. „Arianna hasst die Europäer immer noch aus ganzem Herzen. Deswegen hat sie auch einen Konquistadoren zum Mann genommen.“
„Ortega?“ Ich war überrascht.
„Natürlich, Kind. Huld und Hass – wie oft kann man dazwischen kaum unterscheiden. Sie hat Ortegas Herz gewonnen, ihn zum Vampir gemacht, ihn geehelicht und ihm dann jahrhundertelang immer wieder das Herz gebrochen. Hat nach ihm gerufen und ihn wieder fortgeschickt, hat ihm nachgegeben und gleich darauf den Kurs geändert. Sie fand, so könnte sie sich am besten heiß und frisch halten.“
„Dann verstehe ich auch, warum er in dem verdammten Brasilien gearbeitet hat“, sagte ich.
„In der Tat. Lass sehen …“ Eine Handbewegung, und ein Umhang im römischen Stil, der mir vom Schulterschutz hing und mit Schnallen vorn am Bruststück befestigt war, ergänzte meine Rüstung. Dann verwandelte Lea noch sämtliches Gold auf der Rüstung in ein Farbenspektakel aus immer dunkler werdenden Tönen, je weiter die Verzierungen von meinem Gesicht entfernt waren. Das fing bei einem reinen Goldton oben an und wurde zu Grün, Blau und schließlich Lila, mit allen nur denkbaren Schattierungsvarianten, was den filigranen Einlegearbeiten ein kaltes, unheimliches, surreales Aussehen verlieh. Der Umhang erhielt eine Stoffkante, so dass er sich vorn wie ein Bademantel anfühlte, und an der Taille hielt ihn jetzt eine breite, tief dunkellila Schärpe zusammen. Als letzte Verschönerung gestaltete Lea den Schulterschutz noch ein bisschen wuchtiger, bis ich mir vorkam wie weiland in der Umkleidekabine meiner Highschool, vor dem Footballspiel am Freitagabend.
„Das ist doch lächerlich!“ Ich seufzte. „So sehe ich aus wie die Games-Workshop-Version eines Jedi-Ritters.“
Susan und Lea tauschten verständnisinnige Blicke.
„Ich will verdammt noch mal meinen Ledermantel!“
„Den alten Fetzen?“ Lea schnaubte. „Du hast einen Ruf zu wahren.“
„Den wahre ich in meinem Ledermantel.“ Wenn ich wollte, konnte ich sehr dickköpfig sein.
„Sie könnte durchaus recht haben, Harry“, sagte Susan. „Rein vom praktischen Standpunkt aus betrachtet.“
Ich warf ihr einen misstrauischen Blick zu. „Ach, ja?“
„Wie man auftritt und welchen ersten Eindruck man hinterlässt, ist von ungeheurer Bedeutung. Richtig eingesetzt kann eine Waffe daraus werden. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich persönlich nehme jede Waffe, die ich kriegen kann.“
„Weise Worte“, murmelte Lea.
„Gut. Ich verstehe nur nicht, warum mein Ruf keinen Ledermantel tragen
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