Wandel
Autorität dieses Typen, dass ich doch glatt die Stimme hob und noch lauter wurde: „Gib das Kind zurück, das du seiner Familie geraubt hast, Arianna Ortega, Entführerin und Diebin! Gib das Mädchen zurück oder stell dich mir unter den Bedingungen des Duellkodex.“
Im Saal kam Gemurmel auf, das sich schnell zu leisem Donnergrollen ausweitete.
„Magier Dresden!“, rief Cristos aufgebracht. „Hier steht die Botschafterin einer Vertragsnation, der wir für ihre Friedensmission sicheres Geleit zugesagt haben. Ihr Betragen ist unerhört!“ Er sah sich suchend im Saal um und deutete schließlich auf ein paar Magier in grauen Roben, die nicht weit von mir entfernt standen. „Wächter! Führt diesen Mann aus den Räumen des Ältestenrats!“
Ich warf einen schnellen Blick auf die Angesprochenen: allesamt alte Garde, gefährlich und zäh. Die konnten mich nicht leiden. Sechs Augenpaare musterten mich mit dem Mitgefühl und der Barmherzigkeit von Gewehrmündungen.
Neben mir schluckte Molly vernehmlich.
Mit einem Blick auf die Wächtertruppe sagte ich auf Englisch: „Wollt ihr echt, dass es so läuft, Leute?“
Anscheinend hörte sich das bedrohlicher an, als ich gedacht hatte: Ein halbes Dutzend der knallharten Burschen des Weißen Rates blieben stehen und tauschten fragende Blicke.
Gut, dann konnte ich mich also wieder der Bühne zuwenden. „Nun, was sagst du, Diebin?“
Arianna bedachte Cristos mit einem traurigen, sanften Lächeln. „Ich bedaure diese Störung sehr, Magier Cristos. Ich weiß nicht genau, worum es geht, aber Magier Dresden scheint der Meinung zu sein, mein Volk habe ihm Schlimmes angetan. Vergessen wir nicht, dass seine Gefühle, mögen sie nun berechtigt sein oder nicht, zum Ausbruch dieses Krieges beigetragen haben.“
„Ich entschuldige mich für dieses unglaubliche Verhalten“, stellte Cristos klar.
„Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig“, versicherte Arianna. „Auch ich habe im Laufe dieses Konfliktes persönliche Verluste erlitten. Es fällt immer schwer, Gefühle im Griff zu haben, die aus solchen Verlusten erwachsen, besonders denen, die noch sehr jung sind. All diese Dinge gehören zu den Problemen, die wir überwinden müssen, wollen wir den ewigen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Ihren und meinen Leuten ein Ende bereiten, die Gewaltspirale beenden. Alle Kriegsveteranen tragen schreckliche psychische und emotionale Narben mit sich herum, das gilt für Vampire wie für Magier. Ich nehme keinen Anstoß an den Worten oder Handlungen von Magier Dresden und mache ihn auch nicht dafür verantwortlich.“ Die nächsten Worte richtete sie voller Mitgefühl direkt an mich: „Ich kann Ihnen aus ganzem Herzen versichern, Magier Dresden, dass ich genau nachempfinden kann, welchen Schmerz Sie gerade durchleben.“
Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht den Sprengstock zu heben und der Herzogin ihre scheinheilige Empathie aus dem Gesicht zu sprengen. Sicherheitshalber packte ich meine Ausrüstung mit beiden Händen – nicht, dass noch einer der Stäbe irgendetwas unternahm, ohne sich vorher mit mir abzusprechen.
„Die Lieben, die uns dieser Krieg genommen hat, bekommen wir nicht wieder“, fuhr Arianna fort. „Wir können nur das Morden beenden – bevor noch mehr unserer Lieben Schaden nehmen. Ich bin hier, um weiteres sinnloses Sterben zu verhindern. Sie verstehen doch sicher genau, warum ich das tue.“
Oh, und ob. Arianna reichte es nicht, mich einfach nur umzubringen, sie wollte mich vorher noch vollständig besiegen. Ihr ging es darum, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Wenn es ihr wirklich gelang, die schweren Kämpfe auf diplomatischem Wege zu beenden, verschaffte ihr das in der übernatürlichen Gemeinde erhebliches Ansehen. Wenn sie diese Leistung vollbrachte und mir gleichzeitig noch heftig eins auswischte – welche Eleganz läge in solch einem Sieg.
Erneut schenkte sie mir ein Lächeln, auch diesmal mit einem Anflug von Spott, den niemand mitbekam, der nicht ausdrücklich Ausschau danach hielt. Ihr reichte, dass ich ihn mitbekam, dass ich wusste, was sie gerade getan hatte: Sie hatte mir sozusagen vor dem versammelten Weißen Rat die Zunge herausgestreckt. Wahrscheinlich hatte sie das Grinsen vor dem Spiegel geübt.
„Ich gebe dir eine Chance“, sagte ich mit harter Stimme. „Gib das Kind zurück, und das war’s. Wir sind quitt. Zwing mich, dir die Kleine wegzunehmen, und ich werde mit harten Bandagen spielen.“
Arianna
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