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Wanderer im Universum

Wanderer im Universum

Titel: Wanderer im Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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zu glauben, daß er sich in der Untertasse befand, die er flüchtig gesehen hatte – in der Untertasse, die jetzt schneller als jedes Geschoß davonraste, obwohl Paul keine Beschleunigung spürte.
    Ihm fiel nur ein Begriff ein: Antigravitation . Wenn dieses Raumschiff in seinem Innern eine auf Null herabgesetzte Schwerkraft besaß – vielleicht sogar eine auf Null reduzierte Bewegungsenergie –, wurde der fehlende Andruck plötzlich erklärlich. Deshalb schwebte Paul jetzt auch zwischen unzähligen Wassertropfen, die sich aus seiner durchnäßten Kleidung gelöst hatten, und veränderte seine Stellung dabei immer, so daß die Blumenbeete einmal neben ihm, dann über seinem Kopf und wieder unter seinen Füßen lagen.
    Dann spürte er einen stechenden Schmerz in der rechten Hand, als sei er von einem Dutzend Wespen gleichzeitig gestochen worden: Miau war durch das unerwartete Bad im Meer und die plötzlichen Bewegungen so erschrocken, daß sie sich an Pauls Hand festklammerte. Er schleuderte sie mit einer impulsiven Bewegung von sich fort und beobachtete, daß sie in einem Blumenbeet landete, wo sie zwischen gelben Blüten verschwand.
    Im nächsten Augenblick wurde er von hinten gepackt und zu Boden geworfen. Er fiel auf das Deck, das aus einer grauen Plastikmasse bestand, und konnte sich nicht mehr aufrichten. Am meisten erschreckte ihn dabei die violett-grüne Pfote, die sich um seinen Hals gelegt hatte, als wolle sie ihm die Luft abschnüren.
    Paul versuchte aufzustehen, mußte aber feststellen, daß er nur noch den Kopf drehen konnte. Obwohl die fehlende Schwerkraft unterdessen nicht etwa durch hohen Andruck ersetzt worden war, lag er mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem glatten Deck und konnte sich nicht bewegen. Etwa drei Meter über sich sah er sein Spiegelbild an der Decke – ein nasser Mann mit zerrauften Haaren und blassem Gesicht.
    Allmählich wurde ihm klar, wie das Innere der Untertasse wirklich aussah. Mehr als die Hälfte der Blumen, die ihn anfangs so verblüfft hatten, waren in Wirklichkeit nur Reflexionen. Decke und Boden bestanden aus spiegelglatten runden Scheiben mit etwa sechs Meter Durchmesser. Paul lag ausgestreckt im Mittelpunkt einer dieser Scheiben. Die drei Meter hohe Seitenwand war dicht mit Blumen in allen nur vorstellbaren Farbtönen besetzt – er erkannte gelbe, blaue, violette, dunkelrote, aber vor allem rosafarbene. Die gekrümmte Wandfläche war jedoch nicht ausschließlich mit Blumen bewachsen, sondern enthielt auch drei Vorrichtungen, die Paul an Schaltpulte erinnerten. Sie lagen an den Ecken eines imaginären gleichschenkeligen Dreiecks, in dessen Mittelpunkt er sich befand. Aber die Pulte waren zumindest teilweise hinter Blumen und Blütenranken verborgen – wie rein praktische Gegenstände in dem kleinen Appartement einer eleganten und modebewußten Frau.
    Das Ganze wurde von einem warmen gelblichen Licht beleuchtet, dessen Quelle Paul nicht entdecken konnte. Es war eine Art unsichtbare Sonne – fast unheimlich.
    Aber noch viel unheimlicher war das Gefühl, das er dann hatte: Er glaubte zu spüren, daß seine Erinnerungen und sein Wissen systematisch durchforscht wurden. Paul erinnerte sich daran, daß Ertrinkende angeblich in den letzten Sekunden ihres Lebens noch einmal alles an sich vorüberziehen sehen, was sie jemals getan haben, und fragte sich, ob das gleiche Phänomen zutraf, wenn man in einem Meer von Blumen ertrank – oder wenn man darauf gefaßt sein mußte, von einem Tiger zerrissen und verschlungen zu werden.
    Seine Gefühlsempfindungen wechselten einander so rasch ab, daß er nur verschwommen bemerkte, wovon sie handelten. Sie waren sein ureigener Privatbesitz, aber trotzdem nahm er sie kaum wahr, als sie blitzschnell auftauchten und wieder verschwanden – eine ungeheure Demütigung! Gegen Ende dieser geistigen Kontrolle fielen ihm allerdings einige Vorstellungen auf, die sich seltsamerweise mit Tiergärten und Balletten beschäftigten.
    Er sah sich um, konnte aber nicht feststellen, wo Miau oder das Tigerwesen sich verborgen hielten. Die unsichtbare Sonne strahlte weiter auf ihn herab. Die Blumenbeete dufteten so betäubend wie zuvor.

    Don Merriams winziges Raumschiff war eben zum drittenmal in den Schatten des Wanderers eingetreten. An Steuerbord erkannte er die Nachtseite des seltsamen grün-grauen Planeten. Vor ihm strahlten Tausende von Sternen aller Größen und Helligkeitsklassen, an Backbord erkannte er einen schwarzen langgestreckten

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