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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Fahne ist immer so, daß man nicht recht weiß, wo das Seidenzeug aufhört und das Spinnweb anfängt. Und als das Fahnentuch nun ausgebreitet vor mir lag, sah ich, daß es einfach das Rohrsche Wappen war, was darin prangte. So schwand die historische Glorie hin, die bis dahin dieses Banner umgeben hatte. Sehr wahrscheinlich war es eine Fest- oder Einzugs- oder Wappenfahne, die bei irgendeinem Karussellreiten von irgendeinem jungen Rohr getragen worden war.
    Mir aber erwuchs daraus ein neuer Beweis für die hundertfältig beobachtete Tatsache, daß überall da, wo Dorfbevölkerungen einem Gegenstande begegnen, der Interesse weckt ohne verstanden zu werden, die »mythenbildende Kraft« sofort in Aktion tritt. Ob die Dinge dabei lang oder kurz zurückliegen, ist gleichgültig. Die Sage verfährt in allen Stücken souverän; was sie aber am souveränsten behandelt, das ist die – Chronologie.
     

Auf dem Plateau
     
Ganzer
    Wohl hab' ich euer Grüßen,
    Ihr Ahnen mein, gehört.
    Eure Reihe soll ich schließen,
    Wohl mir, ich bin es wert.
     
    Mit Tramnitz haben wir unsere Wanderungen an »Rhin und Dosse« beendet und kehren nunmehr auf die große Straße zurück, um mit Hilfe derselben das Ruppiner Plateau von West nach Ost oder von der Priegnitz bis zur Uckermark hin zu durchschneiden. Die Dörfer und Städte, denen wir auf dieser Querlinie begegnen werden, sind Ganzer, Gottberg, Kränzlin, Lindow und Gransee.
     
    Zunächst Ganzer, ehemaliger Besitz der Familie Wahlen-Jürgaß, etwa zwei Meilen westlich von dem Zietenschen Wustrau.
    Beide Familien, die Zieten und die Jürgaß, waren recht eigentlich Ruppinsche Geschlechter, seßhafte Leute, die, durch die Jahrhunderte hin, schlicht gelebt und treu gedient und den Boden ihrer Väter in Ehren gehalten hatten. Hans Zieten zu Wildberg, wie schon in unsrem Wustrau-Kapitel hervorgehoben, war geschworener Rat des letzten Grafen zu Ruppin und begleitete diesen auf den Wormser Reichstag, um dieselbe Zeit aber saßen auch schon die Jürgaß auf Ganzer und werden 1525 urkundlich genannt. Von da ab gehen die Zieten auf Wustrau und die Jürgaß zu Ganzer in Leid und Freud mit- und nebeneinander, um schließlich auch, wie ein altes Paar, gemeinschaftlich in den Tod zu gehen. Nur um anzudeuten, wie vielfach beide Familien versippt und verschwägert waren, stehe hier das Folgende. Die Mutter des berühmten alten Zieten war Ilsabe Katharina von Jürgaß aus dem Hause Ganzer (geboren 1666) und die erste Frau des alten Zieten war wiederum eine Jürgaß (Leopoldine Judith, geboren 1703). Aus dieser Ehe, zwischen Hans von Zieten und Judith von Jürgaß, ward eine Tochter geboren, Fräulein Johanna von Zieten, die sich mit Karl von Jürgaß vermählte, der seinerseits wieder ein Sohn Joachims von Jürgaß aus seiner Ehe mit Luise von Zieten war.
    Man wird an diesem einen Beispiel erkennen, daß die Verwandtschaft oft fünf- und sechsfach und in ihren verschiedenen Graden gar nicht mehr zu verfolgen war. Es waren nur noch zwei Familien dem Namen nach, während längst dasselbe Blut in den Adern hüben und drüben floß.
    Ganzer selbst ist ein noch übriggebliebenes Musterstock aus jener Zeit her, wo die Dörfer im Ruppinschen, oder doch viele von ihnen, nicht aus einem Rittergute, sondern aus zwei, vier und selbst sechs Edelhöfen bestanden, die dann freilich sehr viel mehr einem Bauernhof als einem Rittergute glichen. Auch Ganzer gehörte seinerzeit vier Familien und zwar den von Jürgaß, von Rohr, von Kröcher und von Wuthenow, aus welcher Vierteilung später eine Zweiteilung ward, indem der ganze Grundbesitz, durch Kauf oder Tausch oder Erbschaft, an die Rohr und die Jürgaß überging. Das war ungefähr zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, und diesen Charakter eines zweigeteilten Besitzes hat sich das Dorf in einer so markanten und zugleich so malerischen Weise gewahrt, wie mir kein zweites Beispiel in der Grafschaft bekannt geworden ist.
    Wir halten vor dem Dorfeingang und schwanken, ob wir unser Fuhrwerk nach links oder rechts hin lenken sollen, denn scharf einander gegenüber erblicken wir zwei Krugwirtschaften, jede mit dem üblichen Vorbau, jede mit einer Anzahl Stehkrippen und jede mit einem Wirt in der Tür. Wir entscheiden uns endlich für links und sind infolge dieser Wahl, ohne Wissen und Wollen auf der Rohrschen Seite gelandet.
    Der Damm oder Fahrweg macht die Grenze: was links liegt, ist alt-Rohrscher, was rechts liegt, alt-Jürgaßscher Besitz. Jede Seite hat ihr

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