Wanderungen durch die Mark Brandenburg 4. Spreeland.: Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
sei.
Ich durfte der an mich ergangenen Aufforderung folgen und traf noch zur Einweihung der Anstalt in Siethen ein. Es war zur Begründung derselben ein Müllerhaus angekauft worden, dessen Besitzer, ein streng kirchlicher Mann, einige Jahre vorher nach Amerika ausgewandert war. Alles gedieh in diesem seinem ehemaligen Heim, und als er nach einiger Zeit davon hörte, schrieb er zurück. »Wie freut es mein altes Herz, daß meine vier Wände nun die Heimstätte für so viel Gutes geworden sind.« Und er rief den ferneren Segen Gottes dafür an.
Ich sagte, daß ich noch zur Einweihung eintraf. Diese fand im August statt. Es war ein schöner Tag, und der Geistliche sprach über die Wichtigkeit unsres Berufes und daß dieser »Beruf des Erziehens zu Gott« ein Glück und eine Ehre für uns sei. Von der Gemeinde fehlte niemand, und unter den erschienenen Gästen war auch Agnes von Scharnhorst (eine Cousine Johannas) und der Verlobte derselben, Baron von Münchhausen. Als Schlußgesang war Johannas Lieblingslied gewählt worden, und während die Kinderstimmen es intonierten, wurde sie, der es galt, tief bewegt, und sie weinte lang und schmerzlich. Gedachte sie doch, wie sie mir später in vertraulichem Gespräche mitteilte, nunmehr zurückliegender Tage, deren Schmerz sich ihr in diesem Augenblick erneuerte. Sie nahm eben Abschied von manchem, was ihr lieb gewesen, und erbat sich Kraft und Mut und Ausdauer zu dem Wege, der nun dunkel vor ihr lag.
Aber er hellte sich auf, dieser Weg, und es kamen auf eine gute Weile, wenn auch freilich nicht auf lange genug, jene glücklichen und gesegneten Tage, die der alte Müller für uns erbeten hatte. Mutter und Tochter wetteiferten alsbald und halfen überall. Es war ein frisches, fröhliches Arbeiten, und ich konnte nach Haus und nach Kaiserswerth hin schreiben, »daß mir ein lieblich Los gefallen sei«. Wir hatten vorsorglich und ängstlich fast mit einer Kleinkinder- und Sonntagsschule begonnen, aber der Feuereifer beider Scharnhorstschen Damen konnte sich kein Genüge tun, und ehe noch viel Zeit ins Land gegangen war, war aus jenen ersten Anfängen auch schon ein Krankenhaus und bald danach auch ein Waisenhaus geworden.
Unter den vielen Gaben, die Johanna für ihren Beruf mitbrachte, war auch die des Erzählens. Sie wußte Geschichten aller Art mit einer ihr eigentümlichen, zu Herzen gehenden Einfachheit vorzutragen und dabei jeden Ton zu treffen, am glücklichsten vielleicht den humoristischen. Es war eine Lust, ihr zuzuhören, wenn sie Grimmsche Märchen oder Glaubrechts hübsche Geschichte von Küppels Michel erzählte.
Dieser heitre Zug, in den sich selbst ein Anflug von Ironie mischen konnte, sprach sich auch sonst noch in ihrem Wesen aus. Einmal hatt ich Urlaub in meine westfälische Heimat genommen, schrieb von dorther und erhielt alsbald einige Zeilen, in denen es hieß: »Es freut mich, daß Sie so treulich an unser kleines und einsames Siethen denken, von dem ich Sie nur noch bitte, den lieben Ihrigen kein allzu sibirisches Bild entwerfen zu wollen.« Sie kannte die komisch-falschen Vorstellungen, die man wenigstens damals noch in Süd- und Westdeutschland von der Mark Brandenburg unterhielt, und widerstand dem Anreize nicht, diese Vorstellungen zu persiflieren.
Ja, sie hatte diesen humoristischen Zug, aber er streute doch nur ein weniges von Frohsinn und Heiterkeit über ihr Leben aus, und was sie, wenn wir über Feld gingen, am liebsten sah: ein weißes Mohnfeld mit ein paar roten Mohnblumen dazwischen – das war recht eigentlich sie selbst. Der Grundton ihrer Seele war elegisch und blieb es auch in ihrer glücklichsten Zeit.
In dieser standen wir jetzt, in jenen Wochen und Monaten, die der Gründung der Anstalt unmittelbar folgten, und wie jegliches um uns her gedieh, so gedieh auch Fräulein Johanna selbst. Es erschien uns oft, als ob ihr unter immer neuer Arbeit auch neue Kräfte kämen. Sie sah frisch aus, frischer als sonst, und als nach einjähriger Tätigkeit ihr Geburtstag unter Teilnahme vieler lieber Gäste gefeiert wurde, flüsterte mir eine Nachbarin zu: »Wie blühend Johanna aussieht.« Und es war so. Freilich täuschten diese blühenden Farben und bargen recht eigentlich die Gefahr, aber noch waren wir ahnungslos, und der Tag selbst verlief uns in ungestörter Freude. Die Kinder sangen ihre Lieder, und weil Johanna selber nicht singen konnte, sagte sie scherzend: »Ich könnte böse sein, keine Stimme zu haben.« – »Ach, du willst zuviel«,
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