Wanderungen durch die Mark Brandenburg
eine Stelle passiert, die solche »Ge-
schichte« hat, und noch von neustem Datum dazu.
Hier, wo das Unterholz sich durch die Waldrinne
zieht, gleich links neben der Weißbuche, da lag er,
da fanden sie ihn, den Kopf nach der Tiefe zu, den
einen Fuß im Gestrüpp verwickelt und neben ihm die
Büchse. Der grüne Aufschlag des einen Ärmels war
rot, und man sah deutlich, er war mit der Rechten
nach der Brust gefahren. Wessen Kugel hatte ihn
getroffen? Einen Augenblick schien es, als sei man
dem Geheimnis auf der Spur: in Herz oder Lunge des
524
Toten hatte man das Kugelpflaster gefunden und an
ebendiesem Pflaster acht scharf markierte schwarze
Strichelchen, die's dem Kundigen verrieten, daß die
Kugel aus einer Büchse mit acht Rillen gekommen
war. Und solcher Büchsen gab es am Rande der
Menzer Forst hin nicht allzu viele. So wies man denn
mit Fingern auf den und den. Aber die Sache kam zu
früh in Kurs, und als an den verdächtigsten Stellen
gesucht wurde, waren die achtrilligen Büchsen ver-
schwunden. Ein groß Begräbnis gab es, groß wie die
Teilnahme, aber das Geheimnis seines Todes hat der
Tote mit ins Grab genommen.
So ging das Geplauder, als plötzlich, zwischen den
Stämmen hin, eine weite Wasserfläche sichtbar wur-
de, darauf hell und blendend fast die späte Nachmit-
tagssonne flimmerte. »Das ist der Stechlin«, hieß es.
Und im nächsten Augenblicke sprangen wir ab und
schritten auf ihn zu.
Da lag er vor uns, der buchtenreiche See, geheim-
nisvoll, einem Stummen gleich, den es zu sprechen
drängt. Aber die ungelöste Zunge weigert ihm den
Dienst, und was er sagen will, bleibt ungesagt.
Und nun setzten wir uns an den Rand eines Vor-
sprungs und horchten auf die Stille. Die blieb, wie sie war: kein Boot, kein Vogel; auch kein Gewölk. Nur
Grün und Blau und Sonne.
525
»Wie still er daliegt, der Stechlin«, hob unser Führer
und Gastfreund an, »aber die Leute hier herum wis-
sen von ihm zu erzählen. Er ist einer von den Vor-
nehmen, die große Beziehungen unterhalten. Als das
Lissabonner Erdbeben war, waren hier Strudel und
Trichter, und staubende Wasserhosen tanzten zwi-
schen den Ufern hin. Er geht 400 Fuß tief, und an
mehr als einer Stelle findet das Senkblei keinen
Grund. Und Launen hat er, und man muß ihn aus-
studieren wie eine Frau. Dies kann er leiden und je-
nes nicht und mitunter liegt das, was ihm schmei-
chelt, und das, was ihn ärgert, keine Handbreit aus-
einander. Die Fischer, selbstverständlich, kennen ihn
am besten. Hier dürfen sie das Netz ziehen, und an seiner Oberfläche bleibt alles klar und heiter, aber
zehn Schritte weiter will er's nicht haben, aus blo-
ßem Eigensinn, und sein Antlitz runzelt und verdun-
kelt sich, und ein Murren klingt herauf. Dann ist es
Zeit, ihn zu meiden und das Ufer aufzusuchen. Ist
aber ein Waghals im Boot, der's ertrotzen will, so
gibt's ein Unglück, und der Hahn steigt herauf, rot
und zornig, der Hahn, der unten auf dem Grunde des
Stechlin sitzt, und schlägt den See mit seinen Flü-
geln, bis er schäumt und wogt, und greift das Boot
an und kreischt und kräht, daß es die ganze Menzer
Forst durchhallt von Dagow bis Roofen und bis
Altglobsow hin.«
Die Sonne war mittlerweile tiefer hinabgestiegen und
berührte schon die Wipfel des Waldes. Uns eine
Mahnung zur Eile. Der Erdwall, auf dem wir gesessen
und geplaudert hatten, lag nach Norden hin, aber
ehe zehn Minuten um waren, hatten wir die große
526
Biegung gemacht und fuhren wieder an der entge-
gengesetzten südlichen Seite.
Das Revier, das uns hier aufnahm, war das Revier
der Glashütten , die wie Squatter-Ansiedlungen am Waldsaume lagen. Hütte neben Hütte; sonst nichts
sichtbar als der Rauch, der über die Dächer zog. Nur
bei der Globsower Glashütte, die (hart an einer
Buchtung des Großen Stechlin gelegen) einen weit-
verzweigten Handel treibt mit Retorten und Glaskol-
ben, nur hier herrschte Leben, am meisten in der schattigen Allee, die, von den Wohn- und Arbeitshütten her, zur Ladestelle hinunterführte. Hier spielten
Kinder Krieg und fochten ihre Fehde mit Kastanien
aus, die zahlreich in halb aufgeplatzten Schalen un-
ter den Bäumen lagen. Die einen retirierten eben auf
den See zu und suchten Deckung hinter den großen
Salzsäureballons, die hier dichtgereiht am Ufer des
Stechlin hin standen, aber der Feind gab seinen An-
griff nicht auf, und die Kastanien fielen hageldicht
auf die gläserne
Weitere Kostenlose Bücher