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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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werden kann, denn es
    sind nur Dohlen an dieser Stelle zu Haus. Immer
    wenn die geborstene Glocke gezogen wird, fliegen
    sie scharenweis auf, und einzelne von ihnen – wenn
    es wahr ist, was man sich von Raben und Krähen
    erzählt – mögen die Glocke noch von ihren Eggers-
    dorfer Tagen her kennen und nun Betrachtungen
    anstellen zwischen damals und heut.

    514
    Über Molchow hinaus (aber wie dieses am Ostufer
    des Rhins und seiner Seenkette) liegt auch Zermüt-
    zel.
    Ihm fahren wir jetzt zu. Bevor wir's indes erreichen,
    streifen wir erst noch die »Stendenitz«, ein altes
    Waldrevier, das noch unter Kurfürst George Wilhelm
    ohne menschliche Wohnungen und nur der Schau-
    platz großer Wildschweinsjagden war. Als aber unter
    dem großen Könige die Parole »nur Menschen« auf-
    kam und die Verwirklichung dieses Grundsatzes eine
    Masseneinwanderung schuf, die vielleicht selbst die
    Kolonisationszeit unter Albrecht dem Bären in den
    Schatten stellte, beschloß man maßgebenden Orts,
    auch auf ebendieser »Stendenitz« vier Büdner anzu-
    setzen oder, mit andern Worten, eines jener Kolonis-
    tenetablissements ins Leben zu rufen, wie sie damals
    zu Hunderten aus der Erde sprossen.
    Die Kärglichkeit unserer märkischen Scholle kann
    nicht leicht irgendwo besser studiert werden als an
    dieser Stelle. Hundert Jahr Arbeit sind gewesen wie
    ein Tag, und eine Ziege, ein Kirschbaum und ein
    Streifen Roggenland, über das der alte Beherrscher
    dieser Gegenden, der Strandhafer, immer wieder
    Lust zeigt, als Sieger herzufallen, diese drei sind
    nach wie vor der einzige Reichtum dieser Ansiedlung.
    Und wenn noch ein Zweifel daran wäre, so würd ihn
    die Begräbnisstätte lösen, die zu diesem Etablisse-
    ment Stendenitz gehört.
    Da, wo die Bäume hart an den See treten, ist ein
    quadratisches Eckstück aus dem Walde herausge-

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    schnitten und von vier tiefen Furchen umzogen wor-
    den. Auf diesem Eck- und Waldstück wird nun be-
    graben, und umherstehende Krüppelkiefern tuen
    ihren Zypressen- und Trauertannendienst. In hun-
    dert Jahren stirbt sich was zusammen, auch da, wo
    die Lebendigen nur vier Büdnerfamilien sind, und so
    drängen sich denn die Gräber hier, eingefallene Hü-
    gel, von denen die meisten schon wieder zu bloßen
    Moosplätzen mit ein paar verspätet blühenden Erd-
    beeren geworden sind. Nur zwei Grabtafeln ragen
    auf, schräg gedrückt vom Westwind, und nicht ohne
    Müh entziffern wir das Folgende:
    »Hier ruht in Gott der Schneidergesell Andreas Lau-
    don, Kanonier von der 3. Garde-Compani der Attole-
    rie-Bregarde, gestorben 3. April 1836.« Und ihm zur
    Seite der Namen eines siebzehnjährigen Mädchens,
    und darunter:
    Vielgeliebte, weinet nicht,
    Seht mir nach und lebt in Segen,
    Gott ist euer Trost und Licht –
    Ich habe mich zur Ruh geleget.
    Wohl auf manchem Begräbnisplatze hab ich gestan-
    den, aber auf keinem, der mich tiefer erschüttert
    hätte. Welche Mischung von groteskem Humor und
    erschütternder Poesie. Schneidergeselle Laudon, Ka-
    nonier, und daneben:
    Gott ist euer Trost und Licht,

    516
    Ich habe mich zur Ruh geleget.
    Zur Ruhe hier !
    Die Bahre, die diesem Begräbnisplatze dient, hing an
    dem abgebrochenen Ast einer alten Kiefer, und
    Baum und Bahre waren gleichmäßig mit Flechten
    überdeckt; dazu gurgelte das Wasser im Röhricht,
    und über uns in den Kronen ging der Wind.
    Alles Klage.
    Nur zwischen den Bäumen leuchtete das ewige Blau.

    Zwischen
    Zermützel- und Tornow-See

    Mein Bier und Wein ist frisch und klar,
    Mein Töchterlein liegt auf der Totenbahr.
    Uhland

    Bald hinter der »Stendenitz« liegt Dorf und See Zer-
    mützel.

    517
    Der auf der Höhe laufende Weg schlängelt sich in
    einiger Entfernung am Ufer hin und berührt dabei
    mehrere Hügel und Vorsprünge, die die verschie-
    densten Bezeichnungen führen. Einer heißt der »To-
    tenberg« und macht seinem Namen Ehre, trotzdem
    er seine Gruselwirkung mit den einfachsten Mitteln
    erzielt. Ackerfurchen überall, und nur den »Toten-
    berg« umkreisen sie wie Parallelen eine gefürchtete
    Festung. Eine dieser Linien, vielleicht von einem dör-
    fischen Freigeist gezogen, rührt schon an den Zau-
    berkreis, aber auch nur, um plötzlich wieder abzu-
    brechen. Eine alte Kiefer hält Wacht, und so weit ihre
    Nadeln fallen, ist verbotener Grund. Schädel liegt da
    an Schädel, so heißt es. Natürlich aus der Schweden-
    zeit. Wo das Dunkel beginnt, fangen Torstenson und
    Wrangel an.
    Vom »Totenberg« sind nur

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