Wanderungen durch die Mark Brandenburg
noch wenig hundert
Schritt bis zu Dorf Zermützel und seinem See. Wir
fahren aber an beiden vorüber und halten uns nord-
wärts auf eine dritte Wasserfläche zu, die den Namen führt: der Tornow-See.
Da wo der Weg den See trifft, trifft er auch ein von
Birken und Obstbäumen überschattetes Haus, das
jetzt still und glücklich daliegt, als streck ihm der
segenspendende Herbst seine vollste Hand entge-
gen.
Aber ich entsinne mich eines anderen Tages hier.
Im Januar war's. Alles, was einen Pelz und eine
Büchse hatte, war auf den Beinen, und seit Tages-
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grauen knallte es im Wald und an den drei Rhinseen
hin: am Tornow-, Molchow- und Zermützel-See. Zu
zehn Uhr war hier , unter diesem Dache, das Frühs-tück angesagt, und keiner fehlte. Da waren die Förs-
ter und Oberförster: Berger von Alt Ruppin, Conrad
von Rottstiel, Kuse von Pfefferteich, dazu der Graf-
schaftsadel mitsamt den Offizieren der Garnison und
nicht zum letzten die städtischen Nimrods, die nie
genug haben an Billard und Kegelspiel und denen
nur wohl ist wenn sie zu Füßen eines Sechzehnen-
ders schlafen.
Das Frühstück war kalte Küche; desto heißer aber
war der Grog. Über dem Herdfeuer hing ein Kessel,
brodelnd und dampfend, und die Büdnersleute gin-
gen auf und ab, um überall, wo man's begehrte, mit
ihrem kochenden Wasser auszuhelfen. Der Mischung
besserer Teil aber floß aus den eigenen Flaschen.
Und siehe da, Pelze, Grog und Tabak schufen alsbald
eine wunderlich dicke Luft, eine Wolke, darauf die
Göttin der Jagdanekdote saß und orakelte. Nein,
nicht orakelte – ihren klassischen Aussprüchen fehlte jedes Dunkel.
Aber sonderbar, die Büdnersleute waren heute so
still und ernst und pflegten doch sonst bei jeder
Derbheit, die laut wurde, mit einzustimmen. Endlich
trat ich an die Alte heran und fragte leise: »Wo ist
Hannah?« Erst schüttelte sie den Kopf, aber sich be-
sinnend, nahm sie mich rasch bei der Hand und führ-
te mich über den Flur weg in eine Kammer, die gera-
de hinter dem Zimmer gelegen war, in dem die Jäger
ihren Imbiß nahmen. Einen Augenblick sah ich
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nichts, empfing doch die Kammer all ihr Licht von
einer kaum zwei Hand breiten Öffnung her, durch die
der Schnee, vom Winde getrieben, eben in kleinen
Flocken hineinstiebte. Die Frau, während ich mich
noch zurechtzufinden suchte, war inzwischen an ein
Strohlager dicht unterm Fenster getreten und schlug
ein Laken zurück, das über das Stroh hin ausgebrei-
tet war. Da lag Hannah, die Augen geschlossen, in
keinem andern Schmuck als dem ihres langen Haa-
res. Dann deckte die Alte das Laken wieder über und
schlich aus der Kammer und ließ mich allein. Und der
Schnee trieb immer heftiger durch das Fenster und
schüttete vor der Zeit einen Hügel über der Toten
auf.
In zehn Minuten war alles wie verändert. Einer hatte
geplaudert. »Warum hielt er nicht den Mund?« –
»Ich fahre nach Haus.« – »Ich auch.« So ging es hin
und her. Die meisten aber nahmen's leicht oder ga-
ben sich doch das Ansehn davon, und eine Stunde
später knallten die Büchsen wieder an allen drei
Seen hin. Aber das Bild Hannahs stand zwischen
dem Schuß und seinem Ziel, und kein Hirsch wurde
mehr getroffen. Oberförster Berger stieß mit dem
Fuß an den Stecher, und die Kugel pfiff ihm am Ohr
hin, während das Feuer seinen Bart versengte.
Es war eine »wehvolle Jagd«, wie's in alten Balladen
heißt.
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Die Menzer Forst und der Große
Stechlin
Die Sonne war geneigt im Untergang.
Nur leise strich der Wind, kein Vogel sang,
Da stieg ich ab, mein Roß am Quell zu tränken,
Mich in den Blick der Wildnis zu versenken.
Vermildernd schien das helle Abendrot
Auf dieses Waldes sagenvolle Stätte.
In der Nordostecke der Grafschaft liegt die Menzer
Forst, 24 000 Morgen groß (in ihr der sagenumwo-
bene »Große Stechlin«), und in dieser verlorenen
Grafschaftsecke lebt die Ruppiner Schweiz noch ein-
mal wieder auf. Hier waltet ein ganz eigenartiges
Leben: der Pflug ruht und ebenso der Spaten, der
den Torf gräbt; nur das Fischernetz und die Angel
sind an dieser Stelle zu Haus und die Büchse, die
tagaus, tagein durch den Wald knallt. Hundert Jahre
haben hier wenig oder nichts geändert, alles blieb,
wie's die Tage des großen Königs sahn, und nur ei-
nes wechselte: der Schmuggler fehlt, der hier sonst
ins Mecklenburgische hinüber sein Wesen trieb und
seinen Krieg führte. Denn die Menzer Forst setzt
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