Wanderungen durch die Mark Brandenburg
durchforschend, bis sie Gräber und Urnen und in
beiden ihre Geheimnisse herausgibt; der eine Dich-
ter , der andere Archäolog ; jener im Studium alter Lieder aus der geistigen Welt eine sachliche, dieser
im Studium alter Waffen, Münzen etc. aus der sachli-
chen Welt eine geistige konstruierend. Und wirklich,
Superintendent Kirchner ist nicht bloß ein Sammler
nach Art so vieler seiner Amtsbrüder, die nur im
Vorhofe der Wissenschaft, speziell der Altertumskun-
de, wohnen; er gelangt vielmehr zu Schlüssen aus dem Gesammelten, und hier liegt der Unterschied zwischen Wissenschaftlichkeit und Liebhaberei. Die
Mappen, die Schubfächer, die Glaskästen sind ihm
nicht Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und der
historische Sinn (samt jenem Bedürfnis, zu Resulta-
ten zu kommen) erwies sich siegreich in ihm über die bloße Kuriositätenkrämerei. Denn auch die schönste
bronzene Streitaxt, die zierlichste Feuersteinlanzen-
spitze, sie haben nur Anekdotenwert, wenn sie nicht
den Wunsch anregen, den Charakter und das Wesen
einer Epoche daraus kennenzulernen. Ob richtig, ist
zunächst gleichgiltig. Der Weg zur Wahrheit ist mit
Irrtümern gepflastert.
Ein Studierzimmer von mäßiger Ausdehnung, in das
wir jetzt eingetreten, ist, wie Bibliothek, so auch Na-
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turaliencabinet und Museum für nordische Altertü-
mer. Es wurde mir vergönnt, in den Schätzen dieser
nicht zahlreichen, aber sehr ausgezeichneten Kollek-
tion eine Stunde lang schwelgen zu können, wobei
sich mir der alte Satz bewahrheitete, daß Anfänger
und Laien in kleinen Sammlungen am meisten zu
lernen imstande sind. Museumsmassenschätze
staunt man an und geht mit dem trostlosen Gefühl
daran vorüber, »dieser 10 000 Dinge doch niemals
Herr werden zu können«; wo hingegen nur
100 Dinge zu uns sprechen, lächelt uns von Anfang
an die Möglichkeit eines Sieges. Und dieser Sieg wird
uns sicher , wenn ein Kundiger abermals auszuscheiden und den verbleibenden Rest durch begleitende
kleine Vorträge mehr und mehr zu veranschaulichen
versteht. Es heißt dann immer aufs neue: »Du wirst
dabei in einer Stunde mehr gewinnen als in des Jah-
res Einerlei.« Und still dankbar klangen in meinem
Herzen diese Worte nach.
Unter den Schätzen, die mir gezeigt wurden, waren
folgende: 1. ein Tierkopf von Bronze (wahrscheinlich
Ornament an dem Wagen eines Opferpriesters);
2. ein Sandalensporn von Bronze, gefunden bei
Frankfurt a. O.; 3. ein goldener Fingerring, blank,
gefunden in der Prignitz; 4. ein goldener Halsring,
blank, fünf Zoll im Lichten, gefunden bei Walchow
auf einer Torfwiese des vorgenannten Schulzen Höl-
sche (seltenes Exemplar; Goldwert zweiundvierzig
Taler; leider bald nach dem Funde von einem »Un-
tersucher« zerbrochen); 5. ein römischer Dukaten
aus dem fünften Jahrhundert mit dem Bilde des Kai-
sers Zeno; im Sande der Uckermark gefunden;
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6. eine Spindel von Bein; sie lag neben einem sieben
Fuß langen Gerippe zwischen drei Eichenbohlen.
(Spinn wörtel findet man oft, Spindeln selbst aber sehr selten.) Neben diesen Prachtstücken interessierte mich noch eine nicht geringe Zahl von Armringen,
Broschen, Kelten, Paalstäben etc., die zwar in sich
selbst keinen außergewöhnlichen Wert darstellten,
diesen Mangel aber durch das Interesse, das der
Fundort einflößte, mehr als ausglichen. Alle diese
Gegenstände nämlich, einige vierzig, waren bei
Templin in einem ausgetrockneten Wasserloche, elf
Fuß tief, und zwar unter fünf horizontal liegenden
Eichen, gefunden worden. Einerseits die verhältnis-
mäßig große Zahl, andererseits der Umstand, daß sie
bunt durcheinandergewürfelt an einer und derselben
Stelle lagen, gibt ein Rätsel auf. Von einem Begräb-
nisplatze kann keine Rede sein. Superintendent
Kirchner nimmt an, es sei hier ein römischer Händler
mit seinem Karren voll Bronzeschmuck verunglückt.
Diese Hypothese führt mich auf die schriftstellerische
Tätigkeit Kirchners. Sie geht in erster Reihe nach der
märkischhistorischen Seite hin und hat in der Famili-
engeschichte der Arnims sowie namentlich auch in
dem großen vierbändigen Werke »Die Kurfürstinnen
und Königinnen von Brandenburg und Preußen« all-
gemein Anerkanntes geleistet. Was an dieser Stelle jedoch, und zwar weit über jene historischen Arbeiten hinaus, Erwähnung verdient – Erwähnung des-
halb , weil es vielleicht bestimmt ist, dermaleinst epochemachend aufzutreten –, das ist Kirchners
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