Wanderungen durch die Mark Brandenburg
vor
etwa zwanzig Jahren erschienenes Buch » Thors Don-
nerkeil und die steinernen Opfergeräte des nordger-548
manischen Heidentums«. Der Titel fügt hinzu: »zur
Rechtfertigung der Volksüberlieferung gegen neuere
Ansichten«.
Kirchner geht in diesem seinem Buche davon aus,
daß die berühmte, zuerst von Nilsson in Stockholm
aufgestellte, demnächst aber nicht bloß in Skandina-
vien, sondern in der gesamten wissenschaftlichen
Welt akzeptierte Drei-Zeitalter-Einteilung (Stein-,
Bronze- und Eisenepoche), das mindeste zu sagen,
sehr anfechtbar sei. Worin er mit Ledebur überein-
stimmt, der ebenfalls ausgesprochen hat, »daß das
häufige Vorkommen von Steingerätschaften in
gleichzeitig auch mit bronzenen und eisernen Gerät-
schaften ausgestatteten Gräbern unverkennbar auf
die Mißlichkeit dieser Drei-Zeitalter-Einteilung hin-
deute«. Kirchner sucht in weiterem nachzuweisen,
daß der Gebrauch der Steinwerkzeuge, nachdem
diese durch Bronze und Eisen längst abgelöst gewe-
sen seien, im germanischen Kultus noch lange fort-bestanden habe, »etwa wie jetzt der Akt der Be-
schneidung seitens der Juden immer noch mit einem
Steinmesser vollzogen werde«. Dieser Vergleich ist geistvoll und dient seinem Zwecke vorzüglich. Wieweit er zugleich das Richtige trifft, entzieht sich meinem Urteile, denn es würde gewagt sein, in dieser
überaus schwierigen Frage vom Laienstandpunkt aus
Partei nehmen zu wollen. Nur ein unbestimmtes Ge-
fühl, das ich schon vor Jahren bei meinem ersten
Besuche des Nordischen Museums in Kopenhagen
hatte, mag auch heute wieder seinen Ausdruck fin-
den. Es richtete sich ebenfalls gegen das vorerwähn-
te Dreiteilungsprinzip. Ich sagte mir: Alle diese kost-
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baren und kunstgerechten Bronzegegenstände kön-
nen doch unmöglich als die Hervorbringungen eines
barbarischen, in Künsten unerfahrenen Volkes ange-
sehen werden, müssen vielmehr von den Küsten des
Mittelmeeres oder von Gallien oder aber von den
angrenzenden römischen Kolonien her in die germa-
nischen Länder importiert worden sein. Ist dem aber
so, sind es wirklich Importartikel, stehen sie mithin zu dem Kulturleben des sich ihrer bedienenden Volkes in keiner andern als einer rein äußerlichen und
zufälligen Beziehung, so können sie kein eigentliches
Einteilungsmotiv bilden und lassen es unstatthaft
erscheinen, auf sie hin von einem Bronzezeitalter zu sprechen, dem ein Steinzeitalter vorausging und ein
Eisenzeitalter folgte. Solche Rubrizierungen haben
nur dann einen Sinn, wenn die Dinge, nach denen die Wissenschaft ihren Scheidungsprozeß veranstaltet, auf dem betreffenden Boden auch wirklich ge-
wachsen und Ausdruck eines bestimmten höheren
oder niederen Kulturgrades sind.
Und so wie damals steh ich auch heute noch zu dieser Frage, weil ich nach wie vor (wie auch Kirchner)
alle diese kunstvolleren Gold- und Bronzegegenstän-
de als Importartikel ansehe.1) Hat aber umgekehrt
die skandinavische Forschung recht, die diese Bron-
zen als reguläre Schöpfungen der damaligen germa-
nischen Kultur anzusehen scheint, so würde sich da-
nach das Dreiteilungsprinzip als allerdings in größe-
rem oder geringerem Maße gerechtfertigt herausstel-
len, aber doch zugleich auch bewiesen sein, daß wir
uns das Sueven- und Semnonentum des dritten bis
fünften Jahrhunderts abweichend von den Schilde-
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rungen des Tacitus und unseren darauf erwachsenen
Anschauungen vorzustellen hätten. Die Germanen
würden danach allermindestens ein Halbkulturvolk
und in ihrer späteren Epoche mit einem künstleri-
schen Können ausgerüstet gewesen sein, das auch
heute noch von Durchschnittsleistungen unseres
deutschen Kunsthandwerkes nicht überflügelt wird.
Das letzte Schubfach war zugeschoben, die Braktea-
ten und römischen Münzen hatten wieder Ruh, und
das Familienzimmer nahm uns auf zu Mahl und Ge-
plauder. Über nah und fern ging es hin, in immer
munterer werdender Rede, denn ich befand mich in
einem »gereisten Hause«, darin nun die gemein-
schaftlichen Erinnerungen an Skandinavien und
Schottland, an die Belte, den Sund und den Kaledo-
nischen Kanal frisch aufblühten. Das Boot glitt weiter
über den Loch Lomond hin, Abbotsford und Melrose
Abbey stiegen wieder vor uns auf, und im Gleichtakt
zitierten wir aus Scotts herrlicher Dichtung: »If thou
wouldst view fair Melrose aright« etc.
Meine von Jugend auf gehegte Vorliebe für diese
stillen, geißblattumrankten
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